Das, wovor ich nun jahrelang Angst hatte, ist am Mittwochabend eingetreten: Oscar Niemeyer ist gestorben. Daß Niemeyer ein großer Architekt war, steht außer Frage, er war aber auch einer der wenigen Künstler, die nicht nur große Visionen hatten, er war auch in der Lage, sie in die Realität umzusetzen. Einen Regierungspräsidenten wie Juscelino Kubitschek, der euphorisch an eine moderne Zukunft des Landes glaubt, hat nicht jeder in seinem Team. Mehr noch: Niemeyer gelang es nicht nur, seine groß angelegten Ideen zu verwirklichen, er lebte auch lange genug, um sein Werk zu genießen. In wenigen Tagen hätte er seinen 105. Geburtstag gefeiert.
Yasemin Dincer in "Dimmi dove vanno", 2010 |
Niemeyer hat Formen
geschaffen, die niemals aus der Mode geraten sind. Das Prinzip des
Gesamtkunstwerkts hat er nicht nur auf einzelne Bauten angewendet sondern von
Anfang an auf gesamte Gebäudeensembles, von Pampulha zu Beginn seiner Karriere,
über Brasilia bis hin zu den Kulturbauten in der Rio gegenübergelegenen Stadt Niteroi,
die erst in den letzten Jahren entstanden.
"Je ne dis pas où", 2009 |
Als Reaktion auf Niemeyers
Tod hat man in Brasilien nun eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen, aber auch
ich habe einen meiner persönlichen Helden verloren. Zwei meiner Videos spielen
in seinen Gebäuden und ich werde es nie vergessen, wie ich vor einigen Jahren
in Paris in Niemeyers kommunistischen Kuppelsaal trat, das Licht einschaltete
und die Neonlampen hinter den tausenden weißen Schuppen der Decke
klack-klack-klack nacheinander ansprangen und die unterirdische Halbkugel in
ein überirdisches Gleißen tauchten. Aus dieser Situation entstand das Video „Je
ne dis pas où“ (Link), dem etwas später „Dimmi dove vanno“ (Link) folgte, in dem einige
Szenen in Niemeyers „Superquadra“ im berliner Hansaviertel spielen. Wer
Brasilia noch einmal im Zustand kurz nach der Einweihung in den frühen
Sechzigerjahren erleben möchte, dem empfehle ich wie immer den Film „L’Homme de
Rio“ (Link).
Screenshot aus "Dimmi dove vanno": abgelenkt von Niemeyers Gebäude im Hansaviertel verliert die Darstellerin nun endlich ihren Verfolgungsauftrag aus den Augen |