Seit Jahren diskutiert man,
ob man das Mainzer Rathaus nicht einfach abreißen soll. Zum vierzigsten
Geburtstag des Gebäudes von Arne Jacobsen und Otto Weitling fand nun im Foyer
des Hauses eine Ausstellung statt, die einmal die gesamte Entstehungsgeschichte
aufrollte und das groß angelegte Konzept hinter dem Entwurf der beiden
Architekten erklärte. Dabei wurde vor allem eines ganz deutlich: das Mainzer
Rathaus ist ein Gesamtkunstwerk.
In
kaum einem anderen Medium zeigt sich die ungebremste Wut des ansonsten
friedfertig-toleranten Bürgers so sehr, wie im Kommentarbereich von
Architekturberichten. Die Online-Versionen seriöser Tageszeitungen bieten dort
die Möglichkeit, einmal all das herauszulassen, was sich über Jahre hinweg in
Form von Missmut und sorgsam gezügeltem Zerstörungswillen angesammelt hat.
Worte wie „Bausünde“ und „Bunker“ werden immer und immer wieder vorgebracht,
wenn es um modernes Bauen geht. Man fragt sich, wie die Moderne mitsamt ihrer
Architektur an den offensichtlich auch nicht mehr so ganz jungen Schreibern komplett
vorbei gehen konnte, ohne von ihnen jemals als Idee zur Kenntnis genommen zu werden.
Ein Objekt, das in seiner Strenge und Monumentalität ganz besonders in Ungnade gefallen ist, ist das Mainzer Rathaus. Das Gebäude, das in der Silvesternacht 1973/74 eingeweiht wurde, bietet alles, um gleichermaßen geliebt und gehasst zu werden. Der für die Schönheit, Eleganz und Funktionalität seiner Entwürfe bekannte Arne Jacobsen hat in Mainz ein so groß angelegtes Gesamtkonzept umgesetzt, dass es schlichtweg ignorant ist, den Gebäudekomplex auf den Begriff des „vergitterten Bunkers“ zu reduzieren (wie in der WELT (Link)). In seiner Doppelfunktion als Architekt und Designer entwarf Arne Jacobsen ein Gesamtkunstwerk, das in seiner Vielschichtigkeit vom Türschild bis zum städtebaulichen Gesamtkonzept reicht.
Aus der Altstadt mit ihren historischen Gebäuden und verwinkelten Straßen gelangt man über eine Brücke, die von einem Uhrenturm bewacht wird, auf den großen freien Platz vor dem Rathaus. Von dort aus sieht man, wenn man sich um seine eigene Achse dreht, den Rhein, eine Brücke, das Rathaus mit seinen gitterartigen Sonnenblenden, den Dom, das Kongresszentrum und wieder den Rhein. Jacobsen war es wichtig, dass das Rathaus einer Stadt, die an einem Fluss entstanden ist, sich auch direkt an diesem Fluss befindet. Die diagonal verlaufende Fassade des Gebäudes und die riesige Fläche davor sah er als große Geste, die auf den Rhein als Ausgangspunkt der Besiedelung hinweist. Einen zusätzlichen Rhythmus erhält die Fläche durch die vier großen, auf Stahlträger montierten Lampen, die laut Jacobsen Bäume repräsentieren.
Kritisiert
wurde an Jacobsens Gebäude von Anfang an dessen monumentale Form in Verbindung
mit den riesigen Gittern vor den Fenstern. Und auch den Eingang hatte man sich
irgendwie repräsentativer vorgestellt. Tatsächlich war es Jacobsen bei all
seinen Entwürfen immer ein Anliegen, einen Bezug zur Natur herzustellen. Die
Fassade des Mainzer Rathauses sollte entgegen der weit verbreiteten Meinung,
der Bau gleiche einem vergitterten Bunker, etwas absolut Lebendiges sein, das
sich unablässig ändert und immer neue Lichtreflexe und Schattenkonstellationen
produziert, je nach Atmosphäre, Tages- und Jahreszeit. Durch die Sonnenblenden war es möglich, das Fensterglas ungetönt zu belassen, so dass man
vom Innenraum aus das gesamte Stadt- und Naturpanorama ungetrübt betrachten
kann. Zudem sollten die eloxierten Metallelemente durch ihre Proportionen in
Beziehung zu den umliegenden Gebäuden treten und selbst so aussehen, wie
abstrahierte Stadthäuser, die auf einen weißen Grund aus Naturstein gezeichnet
wurden. Der niedrige Eingang zum Rathaus sollte schlicht eine Form von
Understatement darstellen. Im Rathausinnern wandert der Blick zunächst nach
oben, wohin die beiden türkisfarbenen, röhrenförmigen Aufzüge führen. Geht man
weiter geradeaus, erreicht man verschiedene Ausstellungsräume und den
kreisrunden Ratssaal, der sich, wie man von außen deutlich erkennt, vom Rest
des Gebäudes absetzt.
Blick aus der Kantine über den Ratssaal hinweg zum Rhein |
Jacobsen, zu dessen bekanntesten Entwürfen heute neben dem legendären SAS Hotel in Kopenhagen die Stuhl-Linie 7 mitsamt der „Ameise“ gehört, stattete auch das Mainzer Rathaus mit Möbeln und Lampen aus. Zwar hatten sich für die Ausstellung noch einmal eine Vielzahl der typischen, filigran wirkenden Stühle mit ihren geschwungenen Lehnen und Beinen im Rathaus versammelt, wie im SAS Hotel ist aber auch dort nicht mehr die ursprüngliche Originalausstattung vorhanden. Tatsächlich wurden vor einigen Jahren viele der Mainzer Möbel versteigert, um mit dem Erlös die verbleibenden Stücke zu restaurieren.
Türkisfarbene Aufzugtrommeln befördern den Besucher vom Foyer aus zu den Verwaltungsstockwerken des Mainzer Rathauses. Im Innern sind die Fahrstuhlkabinen mit Messing verkleidet. |
Was
bei einem Gang durch das Gebäude auffällt, das ist die immer wieder auftretende
Kreisform. Das reicht von einem kreisrunden Lichteinlass in der Decke des
Ratsaals über die Anordnung der Sitze, die sich dort um einen Stadtplan-Teppich
gruppieren, über die Lampenschienen in den Ausstellungsräumen und die
Positionierung der cognacfarbenen Sitzbänke, über die im Innern mit Messing
verkleideten Aufzüge bis nach außen zu der Brunnenanlage und dem Uhrenturm.
Dort nämlich, wo der Besucher gleichermaßen begrüßt und verabschiedet wird,
bilden die roten Zeiger der Uhren auf dem hellen Steinuntergrund im Verlauf
einer Stunde das Mainzer Stadtwappen nach, das rot-weiße Rad.
Abschließend ist es zu sagen: wem Arne Jacobsens anspielungsreiche Bildsprache nicht gefällt, der entlarvt sich einfach nur selbst als jemand, der in groben Rastern denkt. Und tatsächlich scheint man mittlerweile von einem Abriss abzusehen und stattdessen eine Sanierung zu planen.
Die Ausstellung anlässlich des vierzigsten Geburtstags des Hauses fand vom 25. 09. bis zum 07.11. 2014 statt (Link). Hier ein Ausschnitt: