Bis
vor einigen Monaten standen an der Nordseite des Kölner Doms sechs kantige Betonpilze.
Die Pilze waren nicht etwa dem unweit gelegenen Heinzelmännchen-Brunnen
entlaufen, sondern markierten den Rand der Domplatte, die dort einen scharfen
Absatz macht. Schaute man über die Brüstung der Domplatte, entdeckte man die
eigentliche Funktion der Pilze: sie bildeten das Dach einer etwas tiefer
gelegenen Bushaltestelle.
Am
Ende waren die sechs Pilze das Einzige, was von der Domplatten-Neugestaltung des
Kölner Architekten Fritz Schaller noch erhalten war. Schaller hatte 1964 den
entsprechenden Wettbewerb gewonnen und sorgte daraufhin dafür, dass das Niveau
des Domplatzes auf die Höhe der Eingangspforten des Gebäudes angehoben und eine
direkte Verbindung zwischen Dom und Altstadt hergestellt wurde. Mit der
Zick-Zack-Linie der aneinander gebauten Pilzdächer und der Brüstung der
Domplatte bezog sich Schaller auf die gotischen bzw. neugotischen Formen des
Doms. Dies behauptet der ehemalige Stadtkonservator Ulrich Krings in einem
Artikel des Kölner Stadtanzeigers (Link). Seiner Meinung nach hätten die sechs
Dächer auf ihren schlanken Stützen nicht „exekutiert“ werden müssen. Unter dem
Artikel versammeln sich in den Kommentaren die üblichen Wutausbrüche, die man
dem Beton der Sechzigerjahre gemeinhin entgegenbringt. Auch die Architektur-Fachzeitschrift
„Express“ (Link) betont konsequent in mehreren Artikeln, wie hässlich Schallers
Betonobjekte seien und lässt ihre Leser wählen, welches Gebäude sie am liebsten
abreißen würden. Die Antwort: die schlimmen Pilze stehen auf Platz eins der
„Wut-Liste“ des Jahres 2011. Im November 2013 wurden Schallers Betonskulpturen dann
abgesägt und entsorgt. Zahllose Rentner, Studenten und so genannte
Nachtschwärmer atmeten, so der Kölner Express, daraufhin merklich auf und
können sich nun endlich unbehelligt von Schallers neoexpressionistischen Formen
zwischen Dom und Hauptbahnhof aufhalten.
Was
viele der oben genannten Kritiker nicht ahnen (und was ihnen vermutlich auch
egal wäre): zur gleichen Zeit, als Fritz Schaller seine Überdachungen für die
Domplatte entwarf, konzipierte der Britische Architekt Patrick Gwynne (Link) einen sehr
eleganten Anbau aus Glas und Beton für das Theater Royal in York (Link). Das
Theatergebäude aus dem Jahr 1744 hatte 1880 eine neugotische Fassade erhalten. Im
selben Jahr wurde der Kölner Dom nach einer Bauzeit, die sich über sechshundert
Jahre hinweg gezogen hatte, vollendet. Die Begeisterung des 19. Jahrhunderts
für das Mittelalter spielte in beiden Fällen eine Rolle.
Mit
seinem Entwurf für das neue Theaterfoyer aus dem Jahr 1967 geht Gwynne auf das
Thema „Mock Gothic“ ein, indem er die Form gotischer Gewölbe abstrahiert und
zerlegt, sodass daraus riesige Pilze werden, die man nach Belieben in Beton
vervielfältigen und aneinander bauen kann. Gwynne nimmt also ein typisches
Element aus seinem Zusammenhang heraus, vergrößert es, setzt es mit
zeitgenössischen Materialien um, vervielfältigt es als Modul und arrangiert es
neu. Fritz Schaller ging vermutlich ähnlich vor.