MODE KUNST ARCHITEKTUR

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Mittwoch, 13. März 2013

Tausendfüßler. 1962 - 2013. Düsseldorf verabschiedet sich von der Moderne.

Architektur, Beton, Eleganz, Düsseldorf

Düsseldorf hat sich endgültig von der Moderne verabschiedet, und zwar sehr symbolträchtig durch den Abriss des Tausendfüßlers. Angeblich haben die Abrissarbeiten mit dem 25. Februar begonnen, ich selbst weiß das nicht, ich möchte diesem Fiasko nicht auch noch persönlich beiwohnen. 

Der Tausendfüßler vor Richard Meyers Peek&Cloppenburg
Der Tausendfüßler war bekannt als die „schönste Hochstraße der Bundesrepublik der Nachkriegszeit“. Damals, nach dem Krieg, kam das Konzept der Autogerechten Stadt auf, der moderne Mensch wollte schließlich mobil sein. In der Autogerechten Stadt sollte der Verkehr ungehindert fließen können, dazu wurden Staßenzüge verbreitert und vermutlich so manches abgerissen, was den Krieg so gerade überstanden hatte. Für Düsseldorf bedeutete das, dass man von Süden aus, von der A46 kommend, ganz geradeaus und ungehindert durch die ganze Stadt hindurchrauschen und auf sich der anderen Seite für einen Flughafen- oder Messebesuch entscheiden konnte. Kam man aber von Norden aus, so hatte man das luxuriöse Erlebnis, über den Tausendfüßler zu fahren und die Stadt und den großen Park, in dessen See sich das neue Thyssen-Hochhaus spiegelte, von oben zu sehen, bevor das Auto gemächlich wieder hinabrollte. Man stelle sich das mal vor: 1962, Flughafen Düsseldorf International, dann die Fahrt über den Tausendfüßler…die Leute müssen doch gedacht haben, sie sind in einer modernen Großstadt wie Seattle gelandet!
 

Ästheten schätzten die Feingliedrigkeit und elegante Linienführung, den weichen, dynamischen Schwung mit dem der Tausendfüßler  zwischen den Karees der Innensatdt hindurchglitt, eine zweite Ebene ins Bild legte und den Blick der Passanten immer wieder in Richtung Himmel führte. Der Tausendfüßler war die ideale Verkörperung des Form-follows-Function-Gedanken. Er war schön, er war funktional, er war kostengünstig und vor allem genoss er die Sympathie der Bevölkerung. Alleine die Verschalung sah bereits aus wie eine riesige, kühn geschwungene Holzskulptur, die man mitten in der Stadt aufgebaut hatte, wie der Rücken einer riesigen Taube (Link).


In der Woche vor dem geplanten Abriß fuhr ich so oft wie möglich über den Tausendfüßler und fotografierte das Bauwerk zu jeder Tages- und Nachtzeit. Am allerletzten Tag konnte die Bevölkerung zu Fuß über die Hochstraße laufen um sich zu verabschieden. Die so wie so schon grimmige Stimmung der Leute wurde durch einen heftigen Eisregen zusätzlich verstärkt. Die Leute der Iniziative Lot Stonn, die die Hochstraße anfangs noch retten wollten, malten Herzen auf die Y-Pfeiler und verteilten schwarze Luftballons. Das half nun auch nichts mehr. Tatsächlich war angekündigt worden, dass man sich ein Stück Beton abklopfen darf und so standen einfacher gestrickte Menschen am Martin Luther Platz und begannen mit der Leichenfledderei. Irgendwo in der Menge stand der Oberbürgermeister und wurde interviewt, eine Verzweifelte hielt ein mit Filzstift geschriebenes, völlig unleserliches Schild über seine Schulter in die Kameras, und man fragte sich, was das hier eigentlich alles sollte. Alle wirkten irgendwie ratlos und erschüttert.


Spät abends machte ich mich noch einmal auf den Weg um mich in Ruhe zu verabschieden und einige letzte Bilder zu machen. Der Tausendfüßler lag unbe- wacht im Licht, das aus dem Peek&Kloppenburg-Gebäude drang und ich lief noch einmal über die Hochstraße und staunte. Das war das letzte Mal, dass ich die düsseldorfer Innenstadt gesehen habe und künftig werde ich diesen Bereich meiden. Es ist schade, Düsseldorf ist eigentlich eine wirklich gemütliche Stadt, die eine nette Mischung aus Dorf und Großstadt bietet, aber an dieser Vollverblödung möchte ich nicht partizipieren.

Die Fassade des Kö-Bogens (Link), der den großen Aufschwung bringen soll, hat ein ähnliches Muster wie eine Bluse für Damen im fortgeschrittenen Alter die gerne „Traumschiff“ schauen. Das passt sehr gut zu dem schwäbischen Textilhändler, der den Kö-Bogen demnächst bezieht und sich schon darauf freut, der Firma Peek&Cloppenburg ordentlich Konkurrenz zu machen. Als Peek&Cloppenburg vor einigen Jahren Richard Meyer für den Entwurf eines neuen Gebäudes engagierte, legte der Architekt Wert darauf, den Schwung des Tausendfüßlers aufzunehmen und in den Neubau zu integrieren. Derlei Sensibilität sucht man bei den Iniziatoren des Kö-Bogens vergebens. Das architekturaffine Publikum bei Facebook jedoch kommentiert die farbenfrohen Computergrafiken mit Aussagen wie „Schöööön!“, „Wie geil ist das!!“, „Oh, eine Sternschnuppe“, „Wow sehr Geil richtig toll ! :)  Freue mich schon ;))“, „Wow, ich freu mich schon ! :) Kann man schöne Fotos machen Hihi". Und Immer wieder das Herz-Emoticon.

Genau. Sternschnuppen und Herzen. Für Leute, die „geil“ groß schreiben und die keine Lust haben, Kommas zu setzen, ist der Kö-Bogen bestimmt eine tolle Kulisse um I-Phone-Fotos zu machen.
In diesem Sinne: tschüss.

Im Hintergrund das ehemalige Thyssen-Hochhaus von HPP aus den Jahren 1957 - 60
Begehung am 24. Februar 2013; rechts der Kö-Bogen