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Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Konstruktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamteindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.

Mittwoch, 27. März 2013

Wie baut man sich eigentlich eine Leiche? Ein Abend mit Jörg Buttgereit im Venus & Apoll



Ein Grabstein fehlt: Buttgereit am Grab von Serientäter Ed Gein
Am Ende meiner Schulzeit kursierte unter einigen meiner Klassenkameraden die Legende von einem Film, der angeblich von echter Nekrophilie handelte. Man raunte sich den Namen Jörg Buttgereit zu und den Titel des Films, „Nekromantik“. Das war der Sommer, in dem wir, die Coolen aus dem Kunst Leistungskurs, die Aulawand unserer Schule bemalten und eines Nachts an der Friedhofspforte von der Polizei gefragt wurden, was wir hier eigentlich machen. Unsere Antwort „nichts“ war nicht mal gelogen und ich glaube, dass damals keiner von uns „Nekromantik“ wirklich gesehen hat. Es war einfach die Zeit, in der man unbedingt bööööööse wirken wollte und im Fernsehen noch Rammstein-Videos liefen. Später habe ich eines Nachts dann tatsächlich „Nekromantik“ gesehen und die Vorstellung einer Dreiecksbeziehung mit einer Leiche, bzw. die wahnsinnig gruselig aussehende Leiche selbst, erfüllte mich wirklich mit Angst und Schrecken. Ich gebe es zu.

Bild: Julia Stoschek Collection
Umso überraschter war ich, als ich kürzlich, viele Jahre nach meinen Er- lebnissen, eine Ankün- digung mit dem ver- heißungsvollen Titel „Ein Abend mit Jörg Buttgereit“ las. Und zwar sollte im Venus & Apoll, einem zu einem Projektraum um- gewidmeten ehemaligen Schönheitssalon am Wor- ringer Platz, Buttgereits von Thilo Gosejohann verfilmtes Theaterstück „Captain Berlin vs. Hitler“ gezeigt werden. Eines muß man vorweg sagen: an diesem Abend wurde Klartext gesprochen und wer die Schwierigkeiten des Filmemachens kennt und ein Freund kreativer Problemlösungen ist, ist definitiv auf seine Kosten gekommen.

Schon in der Einleitung erklärte Gosejohann, dass man, wenn Ed Wood in Pappkulissen gedreht hat, man doch direkt den nächsten Schritt gehen und ein Theaterstück, das ja ebenfalls in Pappkulissen spielt, als Spielfilm verfilmen kann. Das Resultat der Überlegung, „Captain Berlin vs. Hitler“, wurde im Anschluß gezeigt und tatsächlich war es Gosejohann gelungen, Buttgereits Theaterstück mittels rasanter Schnitte und wilder Montagen in einen temporeichen Farbfilm zu verwandeln. Nachdem Captain Berlin Hitler zwar nicht besiegt, zumindest aber seine Tochter aus den Fängen Draculas befreit hatte, begann der zweite Teil des Abends, das Künstlergespräch zwischen Buttgereit und Andras Korte, von dem übrigens das Neonsignet VA über der Eingangstür des Salons stammt.

Buttgereit (links), Korte

Was nun folgte, war der totale Widerspruch zu meiner extrem gruseligen ersten Begegnung mit Buttgereits Werk. Etwa zwei Stunden lang berichtete Buttgereit gut gelaunt und anhand unzähliger lustiger Anekdoten über die Entstehungsgeschichte seiner Filme. „Wenn mal etwas nicht klappt, dann sag’ ich einfach, das ist künstlerisch überhöht.“ Für den gelernten Dekorateur war das Selberbauen bei seinen Filmen stets oberste Devise, ob es sich nun auf eine Landschaft für einen Saurierfilm bezog, die auf dem Boden einer kompletten Wohnung entstand, die fortan für sechs Wochen nicht mehr zu betreten war oder eben auf das sagenumwobene Leichenbauen. Im „Todesking“, einem Episodenfilm aus dem Jahr 1989, sieht man über den gesamten Film hinweg immer wieder eine verwesende Leiche in fortschreitendem Stadium. Damit bezieht sich Buttgereit auf Peter Greenaways „Ein Zett und zwei Nullen“ (1985), der allerdings genau da endet, wo der Verwesungsprozess der Protagonisten beginnen soll. Buttgereit erklärte bereitwillig, dass man für das gezielte Verwesenlassen Maden benötige und sich somit Lebensmittel für den Bau einer Leiche anbieten. Er selbst habe einen Gipsabguß eines Oberkörper angefertigt, ihn mit Erdbeerpudding und Gelatine ausgestrichen und schließlich mit Fleisch befüllt. Lustig waren auch die Ausführungen zum Thema Zensur und Horrorfilm in den Achtzigerjahren, es ging um unter dem Parkett versteckte VHS-Kassetten und schließlich auch um den warnenden Lehrfilm des ZDF mit dem Titel „Mama, Papa, Zombie“ aus dem Jahr 1984, der aufklärt über das sich unkontrolliert ausbreitende Medium Videokassette und die damit verbundene Verrohung der Jugend (Link).

Ganz zum Schluß erläuterte Buttgereit noch seinen Kurzfilm „Ein Moment der Stille am Grab von Ed Gein“, der im Nebenzimmer lief. Ed Gein hatte sich in den Vierzigerjahren dem Leichenraub gewidmet, mehrere Morde verübt und diente als Vorbild für die Protagonisten von „Psycho“, „Das Schweigen der Lämmer“ und dem „Texas Kettensägenmassaker“. 

Ed Geins Grabstein allerdings hatte man schon vor langer Zeit in Sicherheit gebracht. Aus Angst vor Grabräubern.