Dallas. Der Name der texanischen Stadt erzeugt dank der nach ihr benannten Fernsehserie überall auf der Welt ähnliche Assoziationen. Es geht um Geld, um Öl, um Glamour, um Intrigen - und es geht um Architektur. In der ersten Einstellung des Vorspanns sieht man eine Autobahnbrücke, die auf ein Konglomerat moderner Hochhäuser zuführt, umgeben von einer kargen Landschaft. Ein Schwenk - die verglaste Stadt funkelt in der texanischen Hitze, dann ein Kameraflug über den Reunion Tower und das blau schillernde Hyatt Hotel, ein weiterer Helikopterschwenk über die kristallin glitzernde Innenstadt. Damit beginnt das Epos, das sich von 1978 an über dreizehn Jahre hinweg erstrecken und die Stadt zu einem aufregenden Sehnsuchtsort machen sollte, vor allem für das europäische Publikum. Die wenigsten Europäer waren allerdings jemals wirklich dort und viele halten die Stadt nach wie vor für einen Mythos.
Um so mehr muss man Gary Farrelly, dem Kurator der Ausstellung mit dem Titel „A hard Place“ (Link), für seine Idee danken, genau hier, in Dallas, eine Ausstellung zu zeigen, die von der Auseinandersetzung einer Gruppe europäischer Künstler mit der Architektur der Nachkriegszeit handelt. Thematisch setzt „A hard Place“ in der 500x Gallery (Link) eine Reihe von Ausstellungen fort, die im Jahr 2016 mit „Heimatplan“ in Wuppertal (Link), „Neue Heimat“ in Berlin (Link) und „Ultramoderne“ in Bregenz (Link) ihren Ausgang genommen hat. Zusammen mit der berliner Galeristin Gundula Schmitz hat der irische Künstler Farrelly ein Programm an Arbeiten zusammengestellt, die ganz unterschiedliche Sichtweisen auf die Architektur der 50er- bis 70erjahre zeigt und sich auf das Lebensgefühl und die Ideale beziehen, die in dieser Zeit herrschten.
Links: Dirk Krecker: "Hot Newcomer's Club", "Eisen, Zink, Gold, Aluminium", "Subsistenzökonomie"; rechts: Matias Bechtold: "Jaki Tower" |
Die Architekten, die in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg die zerstörten Städte wieder aufbauten, ganze Viertel und Zentren neu anlegten und eine neue Infrastruktur planten, verfolgten dabei ganz bestimmte Ideale. Es ging ihnen um das Umsetzen demokratischer Ziele, um menschenwürdiges Wohnen, um Transparenz und Eleganz und vor allem um einen optimistischen Glauben an die Zukunft. Neu entwickelte Materialien und Techniken aus der Luft- und Raumfahrt ermöglichten zudem innovative Gebäudeformen und nicht selten eine sehr skulpturale Herangehensweise. Die Architektur der Nachkriegsmoderne reicht in ihrer Bandbreite von streng funktionalen Modulbauten, Rasterfassaden und vermeintlich spröder Zweckarchitektur über futuristisch wirkende Space-Age-Konstruktionen bis hin zur rauen Opulenz brutalistischer Betonbauten.
Links: Lochkamera-Fotografien aus der "Brussels Series" von Chris Dreier; rechts: "Y-Blokka" von Tannhäuser Tor (Alekos Hofstetter und Florian Göpfert) |
Heute verschwinden viele Gebäude dieser Epoche beinahe unbemerkt aus dem Stadtbild, oftmals ohne Widerspruch der Bevölkerung. Andere werden im Rahmen des Bauens im Bestand bis zur Unkenntlichkeit modifiziert. Dabei geht gerade das, was das Charakteristische dieser Bauten ausmacht, verloren: die eleganten Proportionen, die aus dem Zusammenspiel von Linien und Flächen entstehen, die subtilen Details der Gestaltung, die sich beispielsweise in der Verbindung von Oberflächen und Fugen zeigen, bis hin zu den ganz typischen Materialien und Farben dieser Zeit. Einige wenige Gebäude werden in ihrer Besonderheit geschätzt und unter Denkmalschutz gestellt. Oftmals jedoch sind sie großer Unkenntnis und Ignoranz ausgesetzt.
Die
Künstler, die in der 500x Gallery ihre Arbeiten zeigen, wissen die
besondere Bildsprache der Nachkriegsmoderne zu schätzen und
übersetzen sie in ihr jeweiliges Medium. Sie betrachten die
verschiedenen Gebäude dieser Epoche in ihrem kunst- und
kulturgeschichtlichen Zusammenhang, stellen Bezüge zu
städtebaulichen und gesellschaftlichen Fragen her, sehen aber auch
das Phantastische in der Architektur dieser Jahre und die Verbindung
zu Science-Fiction-Filmen, Sputnik-Schock und Mondlandung.
Links: Chris Dreier; Mitte: "ellipsoid episodes", Kurzfilm von Julia Zinnbauer"; rechts: Tannhäuser Tor |
Nachdem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts europäische Architekten wie Richard Neutra und Rudolf Schindler ihre Vorstellung vom modernen Bauen nach Amerika gebracht hatten, waren es umgekehrt Gebäude in Chicago, New York und Los Angeles, die den europäischen Architekten beim Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg als Orientierung dienten - beim Entwerfen von Großraumbüros, Straßen und Einkaufszentren. Der amerikanische Bungalow beendete in Deutschland schließlich die Ära des biederen Wohnens und bediente die Sehnsucht nach Amerika.
Dallas jedoch unterscheidet noch einmal maßgeblich sowohl vom elegant schimmernden Chicago als auch vom exotischen, ausufernden Los Angeles. In Dallas ist es heiß und die Moderne ist massiv. Der gelbliche Stich, der schwer über der Stadt liegt und den man auf Bildern sieht, rührt nicht nur von dem sich mit der Zeit verfärbenden Filmmaterial alter Dallas-Folge her. Der gelblich Stich ist real. Das ist die verschwenderische Hitze, die von den dunkel verspiegelten Scheiben der Hochhäuser reflektiert wird und sich zwischen den Fassaden aus dunkelrotem und schwarzen Granit und den mächtigen Mauern staut und auch der Beton selbst hat einen Stich ins Gelbliche. Dallas leuchtet golden, der warm schimmernde Beton fasst Juwelen aus buntem Glas. Schlanke Wolkenkratzer werden flankiert von breit dahingelagerte Betonbauten mit schwarz getönten, horizontalen Fensterbändern. Dallas ist schwer und intensiv. Hier wurde „Robocop“ gedreht, weil das kaputte Detroit nicht dystopisch genug wirkte.
In diesem Setting zeigen nun Matias Bechtold (Berlin), Oisin Byrne (Dublin), Laure Catugier (Berlin), Cunningham Architects (Dallas, Texas), Chris Dreier (Berlin), EVOL (Berlin), Gary Farrelly (Brüssel), Dirk Krecker (Frankfurt), Pádraic E. Moore (Dublin/Brüssel), ScAle Architects (Turin), Tannhäuser Tor: Alekos Hofstetter + Florian Göpfert (Berlin/Leipzig), Christine Weber (Berlin) und Julia Zinnbauer (Düsseldorf) ihre Arbeiten. Die Medien und Herangehensweisen sind dabei so unterschiedlich wie die Herkunft der einzelnen Künstler.
Chris Dreier: "Grazie 01", Stickerei |
Die Lochkamera-Fotos von Chris Dreier (Link) beispielsweise handeln von der Vernachlässigung der Nachkriegsarchitektur ebenso wie das Repräsentationsverhältnis von Architektur und Macht. Ihre Fotografien zeigen den Zerfall und das Verschwinden als Folge von postindustriellem Wandel, ökonomischen Krisen und Kriegen. Im Rahmen ihres Gesamtkonzepts bedient sich die Berliner Künstlerin ganz unterschiedlicher Medien, beispielsweise auch der Stickerei, wie in ihrer Serie von Überwachungskameras. Zusammen mit Gary Farrelly hat sie m Jahr 2016 das Office for Joint Administrative Intelligence gegründet, mit dem das Künstlerduo zeitgleich zu "A hard Place" in der Ro2 Art Gallery vertreten ist.
Chris Dreier: "Brussels North Station CCN", "Brussels IBM Building", "Brussels Fortis Bank"; c-prints, 2015/16 |
Gary Farrelly (Link) ist fasziniert von straff organisierten, technisierten Abläufen, gut
funktionierenden Infrastrukturen und rational koordinierten Systemen. Er
schwärmt von Bahnhöfen,
Flughäfen, Flurzeugen, Fußgängertunnels und nicht zuletzt von der Post.
Transportsysteme und Infrastrukturen sind nicht nur das Thema seiner
Collagen, er benutzt sie auch und macht sie zu einem Teil seiner
künstlerischen Dauerperformance: aufwändig adressiert und frankiert
verschickt Farrelly einen Teil seiner Arbeiten, und zwar so, dass sie
unverpackt durch zahllose Maschinen und Hände laufen und man ihnen ihren
Weg in all ihrer Robustheit schließlich auch ansieht. Die Auseinandersetzung mit Schrift und Sprache und modularen, iterativen
Systemen führte Farrelly schließlich dazu, sich mit
Stickstichen auseinanderzusetzen. Mit seinem selbstentwickelten und
offiziell registrierten “Quasi-autonomous Stitch” bestickt er Postkarten
seiner Lieblingsgebäude und genießt es, sich auf diese Weise ganz in
die Details dieser Bauten vertiefen zu können. Das
Sticken wiederum verbindet ihn mit Chris Dreier, die sowohl groß
angelegte Wandbehänge zum Thema Finanzkrise zu ihrem Euvre zählt, als
auch kleine, detailreiche Stickereien, die einstürzende Sozialbauten der
Nachkriegsmoderne zum Thema haben. In "Hard Place" ist Gary Farrelly mit einigen seiner bestickten Postkarten vertreten.
Gary Farrelly |
EVOL (Link) verwandelt seit 2004 durch akkurate, illusionistische Stencil-Arbeiten Stromkästen in Miniaturplattenbauten im öffentlichen Raum. Dabei spielt nicht nur der Ort an sich, sondern auch die Materialität der Stromkästen eine Rolle, deren verwitterte Oberflächen Evols Eingriffe in den Stadtraum zusätzlich zu ihrer optischen und inhaltlichen Qualität verhelfen.
Matias Bechtold miniaturisiert die Moderne. Er entwirft ganze Stadtlandschaften, die er minutiös bis ins kleinste Detail ausformuliert, sodass man sowohl den Blick über den großen urbanen Zusammenhang schweifen lassen kann, als auch bis in die einzelnen Räume hineinblicken und sich mit deren Bewohnern identifizieren kann.
Der irische Künstler Oisin Byrne ist vertreten mit einer großflächigen Wandarbeit und seinem Kurzfilm "Seek Zeros" (Link), auch Laure Catugier zeigt unter dem Titel "Blank" eine Videoarbeit (Link), das Büro Cunningham Architects (Link) aus Dallas ließ dagegen von jedem Mitarbeiter ein Modul anfertigen, das schließlich zu einer Skulptur zusammengefügt wurde. Dirk Krecker ist für seine scharf ausgestanzten Schreibmaschinenarbeiten bekannt, bei der er Texte und Zeilen so intensiv und oft überlager, das am Ende nur noch ein zartes, abtsraktes Netzt bleibt (Link). Der Kunsthistoriker Pádraic E. Moore zeigt einen Überblick über irische Kirchenbauten der Nachkriegsmoderne, das Büro ScAle Architects (Link) aus Turin entwirft ein gigantisches Hauptquartier für das Office for Joint Administrative Intelligence, Christine Weber adaptiert in ihren Malereien Filmszenen und das Duo Tannhäuser Tor, das aus Alekos Hofstetter und Florian Göpfert besteht, transportieren die Architektur der Nachkriegszeit an Sehnsuchtsorte (Link).
Ich selbst zeige in "A hard Place" meinen neuen Film "STEADY SMILE MOVE", sowie die zwei Kurzfilme "ellipsoid episodes" (Link) und "surveillance souterraine" (Link). Auch das "Kleid für die Autogerechte Stadt" (Link) und die entsprechende Collage sind mit nach Dallas gereist und ich bin absolut glücklich, meine Arbeiten ausgerechnet in Dallas zu zeigen, mit all seinen straffen Wolkenkratzern und geschwungenen Brücken. Meine Auseinandersetzung mit den zukunftsweisenden Idealen, Formen und Materialien der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die ich seit Jahren auf meinem Blog beschreibe, fließen immer auch in meine Kostüme und Kurzfilme mit ein. Dabei spanne ich einen Bogen von den kunstgeschichtlichen Hintergründen bis hin zu den glamourösen, phantastischen Aspekten von Architektur und Städtebau.
Der Hitze, die die gesamte Stadt durchdringt, entspricht es, dass die 500x Gallery sich in einer ehemaligen Fabrik für Klimaanlagen befindet. Die zarte Autobahnbrücke schließlich, die im Vorspann der Serie "Dallas" zu sehen ist, ist heute nur noch schwer zu lokalisieren im Geflecht aus Auf- und Abfahrten, Schwüngen, Kreiseln und den eleganten Bögen der Straßen, Hochstraßen und Brücken, die auf Dallas zuführen, bis hin zu der erst kürzlich fertig gestellten Calatrava Bridge.
A hard Place
19. August
- 24 September
2017
500X
Gallery
500
Exposition Avenue
Dallas
TX 75226
U.S.A.
Parallel
dazu ist in der Ro2Art Gallery (Link) die
Ausstellung „Fruit Efficiency“ (Link)
zu sehen, in der Chris Dreier und Gary Farrelly das von ihnen
gegründete Office for Joint Administrative Intelligence (O.J.A.I.,
Link) präsentieren.
Oisin Byrne: "Utopians and and and Visionaries", 2016 |
Links: Pádraic E. Moore: "Erie Ecclesistica - Notes on religious architecture in Ireland 1960 - 1980", 2017; rechts: Tannhäuser Tor: "Y-Blokka", 2014 |
Julia Zinnbauer: Das Kleid für die autogerechte Stadt und die dazugehörige Collage |
Rechts: "surveillance souterraine", Kurzfilm von Julia Zinnbauer |
Christine Weber |
Julia Zinnbauer: Die autogerechte Stadt, Collage |
Links: STEADY SMILE MOVE, Ein Film von Julia Zinnbauer; rechts: AXA Building, Lochkamera-Fotografie von Chris Dreier |