MODE KUNST ARCHITEKTUR

Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Konstruktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamteindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.

Dienstag, 27. Januar 2015

imm cologne 2015 / SYSTEM DESIGN im makk



Spektakuläres Sitzen bei de Sede

Retroglamour bei Gubi
Willkommen im modernen Biedermeier / Glückseligkeit in Opas Sessel / Bunter, runder, weicher. Die Überschriften der offiziellen Pressetexte zur imm cologne 2015 beschreiben genau das, was in der Architektur seit Jahren zu beobachten ist. Diejenigen, die hoffen, dass der Trend zum Rückzug ins Private bzw. in die Gemütlichkeit langsam einmal ein Ende haben sollte, müssen weiterhin tapfer sein und zwischen all den flauschigen Oberflächen und kuscheligen Formen ihrerseits ihren Privatglauben an ein zukunftsweisendes, lebendigeres Wohnen aufrecht erhalten.

Dennoch muss ich sagen, dass es absolut beeindruckend war, tagelang durch ein riesiges gebautes Paralleluniversum zu wandern, in dem Stile und Epochen fließend ineinander übergingen und in dem sich neu aufgelegte Originalentwürfe mit den genau diesen Ursprungsformen nachempfundenen Neufindungen vermischten. Vielleicht liegt in einer Zeit, in der die Vergangenheit ein genau so wichtiger Sehnsuchtsort geworden ist, wie in früheren Jahrzehnten die Zukunft, die Entscheidung nicht mehr in der Frage nach dem Dekor, sondern in der Frage, ob man sich überhaupt  einer praktisch-technischen Funktionalität widmen will.

de Sede DS-25


Bei De Sede flirtet Lazenby im Schottenrock.
Auf keinem Sitzmöbel habe ich so lange gesessen, wie auf dem DS-1025, einem vulkanartigen de Sede Sofa, das einen mit seinem Entwurfsjahr 1973 direkt in sämtliche Barbarella-Sphären versetzte. An der Wand neben dem wirbelsäulenförmigen DS-600 hing ein Foto von George Lazenby, der sich im Schottenrock in seiner Rolle als James Bond auf einem de Sede Sofa mit zwei jungen Damen amüsierte. Das waren definitiv die Sofawelten, in denen ich mich heimisch fühlte, allerdings auch, weil ich bereits meine gesamte Kindheit und Jugend auf dem DS-11 verbracht hatte. Auch bei mir spielt der Blick zurück eine Rolle, allerdings stehen die beschriebenen Entwürfe in all ihrer Phantastik für einen Glauben an die Moderne und nicht einfach nur für eine Flucht aus der Realität.

Im Bereich des Dekorativen fiel auf, dass offensichtlich eine Rückkehr zur großblättrigen Zimmerpflanze stattfindet. Die einsamen Hydrokulturpflanzen, die seit mehr als vierzig Jahren in den Fluren von Verwaltungsgebäuden, Universitäten und Betonkirchen ihr karges Dasein fristen, erlebten bei Knoll, Cassina und Gubi ihr Comeback und verleihen der Geborgenheit des gediegenen Wohnzimmers einen Hauch von Dschungel. 

Bei Cassina winkt der Modulor durchs Gebüsch.
Bei Cassina war man so konsequent, den gesamten Messestand im LeCorbusier-Look aus aufwändig verarbeitetem Kunstbeton zu bauen, inclusive Modulor und Wohnmaschinen-Relief. In diesem Zusammenhang durfte die entsprechende Bepflanzung, ob nun künstlich oder echt, nun auch wirklich nicht fehlen. Und wenn  einem der Modulor streng über die Schulter schaut, dann versackt man auch nicht so leicht in seinem Sofa, sondern widmet sich ordnungsgemäß seinem Licht, Luft und Sonne-Programm.

Als weiterer Gegenpol zu den Vertretern der samtbezogenen Sitzlandschaften und messingfarbenen Beistelltischchen hielt Architekturkritiker Niklas Maak im Rahmen der Messe eine etwas verkürzte Version seines Vortrags über sein Buch „Wohnkomplex“. Dabei stellte er schon am Morgen des ersten Messetags eine Frage in den Raum, die angesichts der Masse an ausgestellten Möbeln und den damit verbundenen Verkaufsabsichten beinahe schon verwegen klingt: braucht man all diese Möbel eigentlich wirklich? Oder braucht man nicht eher eine Wohnung, die einem Platz für das eigentliche Leben bietet, wie ein Rahmen oder eine Bühne? Das chinesische Architektenpaar Neri und Hu hatte mit ihrer Installation für die imm-cologne-Serie „Das Haus - Interiors on Stage“ eine solche Bühne entworfen, die mit ihren beiden Stockwerken, ihren Aus- und Durchblicken vor allem eins bot: Raum für noch mehr Möbel.

Das Haus von Neri und Hu
Eiermann: Fassadenelement, makk
Am Abend des ersten Messetags wurde im Museum für angewandte Kunst Köln (makk) die Ausstellung „SYSTEM DESIGN. Über 100 Jahre Chaos im Alltag“ eröffnet. Hier kamen all die auf ihre Kosten,  denen das Ameublement auf der Messe zu heimelig erschienen war. Im Museum für angewandte Kunst herrschten die, die schon immer für Ordnung gesorgt hatten: Dieter Rahms, Fritz Haller, natürlich Egon Eiermann und all ihre Brüder und Schwestern im Geiste (Link). Aber auch hier fiel auf: während sich im Untergeschoss der Rollwagen namens „Boby“ aus weißem Kunststoff von Joe Colombo von 1970 zu einem Aluminium-Fassadenelement von Egon Eiermann gesellte, ging in der oberen Etage ein ganz ähnlicher Rollcontainer in orange eine Allianz mit einem leuchtend gelben Terminal-Counter von Wolfgang Feierbach ein (1972). Hier stammte der Plastik-Rollcontainer jedoch von Konstantin Gricic und somit aus der Jetztzeit. Die Grenzen zwischen alt und neu, retro und retrofuturistisch verschwammen also auch im Museum für angewandte Kunst.

Flughafencounter von Wolfgang Feierbach im makk
imm. Nicht im Preis enthalten: der junge Mann, der nach dem Aufstehen der Gäste den Samt wieder glattklopft. (Foto von Ellen Heyer)

Ich selbst war jedenfalls so beeindruckt von der imm cologne, dass ich mich zwei Tage später noch einmal auf den Weg nach Köln machte, und zwar diesmal unter der kompetenten Führung meiner Freundin Ellen, der es als Architektin gelang, mir auch die ausladenden italienischen Sofas in acquafarbenem Samt näher zu bringen. Ihr Argument, dass sie diese Art von Opulenz sehr an Viscontis „Gewalt und Leidenschaft“ erinnere, überzeugte mich, und auch die Vorstellung, Helmut Berger auf einer derartigen Sitzlandschaft herumlungern zu sehen.
 
Noch einmal Cassina: die strahlende Wohnmaschine