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Spektakuläres Sitzen bei de Sede |
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Retroglamour bei Gubi |
Willkommen
im modernen Biedermeier / Glückseligkeit in Opas Sessel / Bunter, runder,
weicher. Die Überschriften der offiziellen Pressetexte zur imm cologne 2015 beschreiben
genau das, was in der Architektur seit Jahren zu beobachten ist. Diejenigen,
die hoffen, dass der Trend zum Rückzug ins Private bzw. in die Gemütlichkeit
langsam einmal ein Ende haben sollte, müssen weiterhin tapfer sein und zwischen
all den flauschigen Oberflächen und kuscheligen Formen ihrerseits ihren
Privatglauben an ein zukunftsweisendes, lebendigeres Wohnen aufrecht erhalten.
Dennoch
muss ich sagen, dass es absolut beeindruckend war, tagelang durch ein riesiges
gebautes Paralleluniversum zu wandern, in dem Stile und Epochen fließend
ineinander übergingen und in dem sich neu aufgelegte Originalentwürfe mit den genau
diesen Ursprungsformen nachempfundenen Neufindungen vermischten. Vielleicht
liegt in einer Zeit, in der die Vergangenheit ein genau so wichtiger
Sehnsuchtsort geworden ist, wie in früheren Jahrzehnten die Zukunft, die
Entscheidung nicht mehr in der Frage nach dem Dekor, sondern in der Frage, ob
man sich überhaupt einer praktisch-technischen Funktionalität widmen will.
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de Sede DS-25
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Bei De Sede flirtet Lazenby im Schottenrock. |
Auf
keinem Sitzmöbel habe ich so lange gesessen, wie auf dem DS-1025, einem vulkanartigen
de Sede Sofa, das einen mit seinem Entwurfsjahr 1973 direkt in sämtliche
Barbarella-Sphären versetzte. An der Wand neben dem wirbelsäulenförmigen DS-600
hing ein Foto von George Lazenby, der sich im Schottenrock in seiner Rolle als
James Bond auf einem de Sede Sofa mit zwei jungen Damen amüsierte. Das waren definitiv die Sofawelten, in denen ich mich heimisch fühlte, allerdings auch, weil ich bereits
meine gesamte Kindheit und Jugend auf dem DS-11 verbracht hatte. Auch bei mir
spielt der Blick zurück eine Rolle, allerdings stehen die beschriebenen
Entwürfe in all ihrer Phantastik für einen Glauben an die Moderne und nicht
einfach nur für eine Flucht aus der Realität.
Im
Bereich des Dekorativen fiel auf, dass offensichtlich eine Rückkehr zur
großblättrigen Zimmerpflanze stattfindet. Die einsamen Hydrokulturpflanzen, die
seit mehr als vierzig Jahren in den Fluren von Verwaltungsgebäuden,
Universitäten und Betonkirchen ihr karges Dasein fristen, erlebten bei Knoll,
Cassina und Gubi ihr Comeback und verleihen der Geborgenheit des gediegenen
Wohnzimmers einen Hauch von Dschungel.
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Bei Cassina winkt der Modulor durchs Gebüsch. |
Bei
Cassina war man so konsequent, den gesamten Messestand im LeCorbusier-Look aus
aufwändig verarbeitetem Kunstbeton zu bauen, inclusive Modulor und Wohnmaschinen-Relief.
In diesem Zusammenhang durfte die entsprechende Bepflanzung, ob nun künstlich
oder echt, nun auch wirklich nicht fehlen. Und wenn einem der Modulor streng über die Schulter
schaut, dann versackt man auch nicht so leicht in seinem Sofa, sondern widmet
sich ordnungsgemäß seinem Licht, Luft und Sonne-Programm.
Als
weiterer Gegenpol zu den Vertretern der samtbezogenen Sitzlandschaften und
messingfarbenen Beistelltischchen hielt Architekturkritiker Niklas Maak im
Rahmen der Messe eine etwas verkürzte Version seines Vortrags über sein Buch
„Wohnkomplex“. Dabei stellte er schon am Morgen des ersten Messetags eine Frage
in den Raum, die angesichts der Masse an ausgestellten Möbeln und den damit
verbundenen Verkaufsabsichten beinahe schon verwegen klingt: braucht man all
diese Möbel eigentlich wirklich? Oder braucht man nicht eher eine Wohnung, die
einem Platz für das eigentliche Leben bietet, wie ein Rahmen oder eine Bühne?
Das chinesische Architektenpaar Neri und Hu hatte mit ihrer Installation für
die imm-cologne-Serie „Das Haus - Interiors on Stage“ eine solche Bühne entworfen,
die mit ihren beiden Stockwerken, ihren Aus- und Durchblicken vor allem eins
bot: Raum für noch mehr Möbel.
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Das Haus von Neri und Hu |
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Eiermann: Fassadenelement, makk |
Am
Abend des ersten Messetags wurde im Museum für angewandte Kunst Köln (makk) die
Ausstellung „SYSTEM DESIGN. Über 100 Jahre Chaos im Alltag“ eröffnet. Hier kamen
all die auf ihre Kosten, denen das
Ameublement auf der Messe zu heimelig erschienen war. Im Museum für angewandte
Kunst herrschten die, die schon immer für Ordnung gesorgt hatten: Dieter Rahms,
Fritz Haller, natürlich Egon Eiermann und all ihre Brüder und Schwestern im
Geiste (Link). Aber auch hier fiel auf: während sich im Untergeschoss der
Rollwagen namens „Boby“ aus weißem Kunststoff von Joe Colombo von 1970 zu einem
Aluminium-Fassadenelement von Egon Eiermann gesellte, ging in der oberen Etage
ein ganz ähnlicher Rollcontainer in orange eine Allianz mit einem leuchtend
gelben Terminal-Counter von Wolfgang Feierbach ein (1972). Hier stammte der Plastik-Rollcontainer
jedoch von Konstantin Gricic und somit aus der Jetztzeit. Die Grenzen zwischen alt
und neu, retro und retrofuturistisch verschwammen also auch im Museum für
angewandte Kunst.
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Flughafencounter von Wolfgang Feierbach im makk |
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imm. Nicht
im Preis enthalten: der junge Mann, der nach dem Aufstehen der Gäste den Samt
wieder glattklopft. (Foto von Ellen Heyer) |
Ich
selbst war jedenfalls so beeindruckt von der imm cologne, dass ich mich zwei
Tage später noch einmal auf den Weg nach Köln machte, und zwar diesmal unter
der kompetenten Führung meiner Freundin Ellen, der es als Architektin gelang,
mir auch die ausladenden italienischen Sofas in acquafarbenem Samt näher zu
bringen. Ihr Argument, dass sie diese Art von Opulenz sehr an Viscontis „Gewalt
und Leidenschaft“ erinnere, überzeugte mich, und auch die Vorstellung, Helmut
Berger auf einer derartigen Sitzlandschaft herumlungern zu sehen.
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Noch einmal Cassina: die strahlende Wohnmaschine |