MODE KUNST ARCHITEKTUR

Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Konstruktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamteindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.

Montag, 18. August 2014

Otto Piene: Sky Event über der Langen Foundation, Neuss





Am 9. August fand auf dem Gelände der Langen Foundation auf der Insel Hombroich bei Neuss Otto Pienes Sky Event statt. Die Schönheit, die der gesamten Veranstaltung innewohnte, ging einher mit einer genauso großen Tragik, und das gleich in mehrerer Hinsicht. Die Idee Otto Pienes, nichts weniger als den Himmel als seine Leinwand zu verwenden, stammt aus den Nachkriegsjahren. Seit dieser Zeit hat er immer wieder seine aufblasbaren Elemente in den Himmel geschickt, beispielsweise über dem Guggenheim Museum in New York. Die eleganten Schwünge von Frei Ottos Zeltdachkonstruktion in München setzte Otto Piene bei den Olympischen Spielen 1972 bis weit in den Himmel fort und überspannte den gesamten Olympia-See mit einem 700 Meter langen Regenbogen. 

Am 16. Juli 2014 wurde schließlich Otto Pienes Ausstellung mit dem Titel „More Sky“ in der Neuen Nationalgalerie in Berlin eröffnet. Am Tag darauf kletterte der Sechsundachzigjährige auf das Dach von Mies van der Rohes Museumsbau um dort an den Vorbereitungen für das geplante Sky Event über Berlin weiter zu arbeiten. Am gleichen Tag verstarb Otto Piene während einer Taxifahrt. Das Sky Event über der Neuen Nationalgalerie fand am 19. Juli dennoch ganz im Sinne des Künstlers statt (Link). Nun also sollten am 9. August Pienes Flugelemente über Tadao Andos Gebäude der Langen Foundation aufsteigen, nachdem das Sky Event, bereits für den Juni geplant, aus technischen Gründen schon einmal verschoben worden war. Auf diese Weise konnte Otto Piene weder sein Himmelsevent in Berlin noch seine aufblasbaren Sterne über der Langen Foundation in Neuss miterleben. Der architektonische Rahmen für die mehrstündige Großinszenierung war zumindest vergleichbar und Otto Piene wäre absolut begeistert gewesen von dem Fest, das ihm zu Ehren gefeiert wurde. Umso tragischer war es, dass der Ehrengast nicht dabei sein konnte.

Eine ganz ähnliche Geschichte lässt sich auch über das Haus für Musiker des Architekten Raimund Abraham erzählen, das an diesem Abend seine volle Wirkung entfalten sollte. Bei der Architekturbiennale in Venedig hatte Erwin Heerich, von dem die Backsteipavillons auf der Insel Hoimbroich stammen, den Entwurf von Raimund Abraham bereits im Jahr 1996 entdeckt, was schließlich zehn Jahre später zur Grundsteinlegung des Gebäudes in Neuss führte. Als Abraham 2010 nach einem Vortrag, den er genau über dieses Gebäude gehalten hatte, nach Hause fuhr, in Downtown L.A. in einen Unfall verwickelt wurde und in seinem Auto starb, war das Haus für Musiker noch nicht vollendet (Link). An Peter Greenaways Film „Der Bauch des Architekten“ mag man bei der Geschichte denken, bei dem sich der Protagonist bei der Eröffnung der Ausstellung, an deren Planung er jahrelang gearbeitet hatte, aus dem Fenster stürzt und auf einem Autodach stirbt.




Opulent-geheimnisvoll war auch der weitere Verlauf des Abends. Nachdem sich alle drei Sterne Otto Pienes nach langem Auf- und Abrollen von Leinen, Verschnüren von Luftschläuchen und durch den Einsatz unzähliger Helfer in den Himmel erhoben hatten, begann im Abraham Bau das Konzert des Düsseldorfer Pianisten Hauschka, dessen metallisch klirrende Akkorde weit über das Gelände  wehten. Die cembaloartigen Klänge, die er durch Flaschendeckel und Pingpongbälle erzeugte, die auf den Saiten des Flügels vibrierten, verstärkten in ihrem harmonischen Hall die unwirkliche Atmosphäre der aufziehenden Sommernacht. Der scharfkantig-technische Sound entsprach in seiner Harmonie dem Zusammenspiel  der spitzwinkligen und runden Formen des Konzertgebäudes, in dessen rundes, beinahe schwebendes Betondachdach ein Dreieck geschnitten war, das den Blick auf den Himmel freigab. Der fast volle Mond stand schon über der ehemaligen Raketenbasis, als Hauschka seine gesammelten Utensilien aus dem Körper des Flügels herausräumte und ihm so seinen ursprünglichen weichen Klang zurückgab.


Ich denke, dass sowohl Piene als auch Abraham von der Brüstung des Gebäudes herabgeschaut hätten, auf das berauschte Publikum, den Turm der Raketenbasis und auf den Mond, der sich mittlerweile zu den über allem schwebenden aufblasbaren Sternen gesellt hatte, und recht zufrieden gewesen wären.



Zu weiteren Aufblas-Elementen mit Sechzigerjahres-Bezug geht es hier entlang:
Hollein: Das aufblasbare Büro (Link)
Christo: Big Air Package (Link)