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Eine Bestätigung in meinem Bestreben, Glitzer und Theatralik mit der Schönheit unbehandelter Betonoberflächen zu verbinden, habe ich nun ausgerechnet in einem Stuttgarter Architekten der Sechzigerjahre gefunden. Über Paul Stohrer sagt der „Architekturführer Stuttgart“ aus dem Reimer Verlag, er verkörpere den Typen des erfolgreichen Architekten der Wirtschaftswunderzeit. Das ist recht nüchtern formuliert, und auch seine Gebäude lassen zunächst nicht vermuten, was für ein Typ der Architekt wirklich war.
Das stuttgarter Rathaus stammt von Stohrer, bei dessen Entwurf er allerdings Kompromisse eingehen musste. Das eigene, am Bodensee gelegene Ferienhaus namens Moroshito aus dem Jahr 1961, wirkt mit seinen dreieckigen Seitenwänden und seiner schnittig im 45 Gradwinkel dem See zugewandte Front unglaublich streng und futuristisch. Auch Stohrers Büro, dessen Gebäude ich mir kürzlich in Stuttgart angeschaut habe, wirkt mit seinen vor- und zurückspringenden waagerechten Elementen und dem in Fenstern, Türen und Zaunelementen wiederkehrenden Kreismotiv, absolut cool, modern und sachlich (s. Abb. 1-3).
Liest man jedoch den Bericht der Architekturkritikerin Amber Sayah (Link), so fühlt man sich direkt an die Szene in „Pillowtalk“ erinnert (1966), in der Doris Day als kecke Innenarchitektin Rock Hudsons Wohnung farbenfroh umdekoriert. Tatsächlich zählte Stohrer die Showgrößen seiner Zeit zu seinen Auftraggebern, wie beispielsweise die Schauspielerin Margot Hielscher und pflegte einen regen Kontakt zur Film- und Theaterbranche. So beschreibt Frau Sayah, wie Paul Stohrer in den 50er- und 60erjahren mit seinem Flügeltüren-Mercedes 300 SL in flotten Anzügen über die stuttgarter Straßen rauschte und seine Vorlesungen an der Staatsbauschule dagegen im Tennisdress hielt. Daß der Architekt bisweilen mit einem Hausleoparden in der Stuttgarter Fußgängerzone gesichtet worden sei, habe sich jedoch als Gerücht erwiesen.
Wenn ich Frau Sayah zitieren darf: Es konnte nicht ausbleiben, dass diese Selbstinszenierung als Künstlerarchitekt von Kollegen belächelt wurde – zumal sie mit Dekorationsorgien einherging, die in merkwürdigem Kontrast zur strengen Geometrie der Stohrer’schen Baukörper standen. Sein Ferienhaus etwa, äußerlich ein cooles Betonprisma auf Stelzen, schmückte er mit einem abenteuerlichen Mix aus Fischernetzen, Schwimmringen, Schiffstauen und Korbstühlen. In seiner Dachwohnung im Haus am Stuttgarter Herdweg, das ebenfalls zu seinen herausragenden Bauten zählt, richtete er sich mit Tigerfellen und Fototapeten ein.
Staunen Sie im nächsten Teil unserer Serie über Egon Eiermanns revolutionäre Ideen zum Thema moderne Herrenkleidung.