MODE KUNST ARCHITEKTUR

Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Konstruktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamteindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.

Mittwoch, 14. März 2012

Paul Schwebes: Philipsgebäude, Berlin



Was ist eigentlich zur Zeit los? Warum wird mutwillig alles kaputt gemacht? Natürlich geht es beim Abriß und Umbau von Bauten der Moderne um wirtschaftliche Interessen, das ist mir schon klar, aber ist es nicht möglich, diese Gebäude mit etwas mehr Feingefühl zu betrachten? Ist es denn wirklich preisgünstiger, ein Hochhaus mit einier riesigen neusen Fassade und neuen Innereien zu versehen, als die bestehende Ausstattung aufzuarbeiten, weiter zu nutzen und mit einem subtilen Marketingkonzept an Interessenten zu veräußern, die am Ende der Meinung sind, nun etwas ganz Besonderes, Einzigartiges zu besitzen? Warum kann man diese Bauten der Nachkriegsmoderne, nicht als das sehen, was sie sind? Warum werden an sachlich konstruierte Verwaltungsgebäude Lochblechfassaden mit Blumenmustern angebracht? Las Vegas ist nicht der Maßstab, lasst Euch das nicht einreden. Las Vegas ist eben Las Vegas, da gehören ständiger Umbau und Kulissenarchitektur zum Bild der Stadt. Insofern ist die Glitzermetropole in jedem Fall sehenswert, aber dort herrschen andere Kriterien, als in jeder anderen Stadt, geschweige denn als in Berlin oder Düsseldorf. Dennoch strebt man diesem Ideal des sich ständig und immer schneller wandelnden Outfits in deutschen Groß- und Kleinstädten immer mehr nach.

Nun trifft es also auch das Philippshaus an der Urania (Link), das aus den frühen 70erjahren stammt. Es soll eine großflächige Glasfassade bekommen, die runden Ecken werden durch gerade ersetzt und ein zeitgenössisches Dekor will man anbringen. Entworfen hat das Gebäude Paul Schwebes, der maßgeblich an den Bauten rund um die nahe gelegen Gedächtniskirche und den Bahnhof Zoologischer Garten beteiligt war,  beispielsweise am Bikini-Haus. Man könnte sagen, na, das sind doch für die besondere Nachkriegssituation West Berlins charakteristische Bauten, die erhalten wir. Aber auch das Bikini-Arrangement wurde bereits großflächig unter dem Motto "Lebe anders" eingerüstet um es in eine "Erlebniswelt" zu verwandeln.

Liest man den Artikel über den baldigen Umbau des Philippshauses, so sind, neben den Anmerkungen zu den üblichen Kungeleien, v.a. die Kommentare der Leserschaft interessant.

Wenn ich zitieren darf:
Warum muss man jede Scheußlichkeit aus den 70ern erhalten und lediglich ein bisschen Kosmetik betreiben. Dieser Turm hat die ganze Gegend entwertet. Warum nicht Abriss und Neubau?

Besonders schön ist auch dieser Auswurf:
Das alte Denken ist fest etabliert und nicht vom Thron zu stoßen. Eine grauenhafte Moderne in Verbindung mit korrupter Verwaltung hat in den letzten Jahrzehnten grauenhaftes entstehen lassen und die Ergebnisse oft auch noch gefeiert. (...). Man muss ja nur die Architekturmagazine der letzten 4 Jahrzehnte duchblättern um zu sehen, wie gering der gesunde Menschenverstand geschätzt wurde, Verdient hat man daran nicht wenig, also wenige haben viel daran verdient. (...) Ja und die Architekten und "Stadtplaner" in der freien Wildbahn und innerhalb des Senats verfolgen einen Stil, dem der "normale Bürger" nichts abzugewinnen weiß. Die kriegt man so schnell nicht weg, die erhalten sich selbst bis in die Professorenstellen der Unis. Die wählen sich ja quasi selber und ihre Freunde in die lukrativen Versorgungsstellen rein!
Das Thema ganzheitliche (Stadt-) Planung könnte eine Hilfe sein, um den gesunden Menschenverrstand wieder zu verankern. Abre das Thema interessiert ja keinen, das stört die nur dabei, das alte mit den alten Mitteln unter neuen Siegeln weiter zu führen. An vorderster Front: der Bau-Senat mit allen Abteilungen,also nicht nur die Führungselite mit Stahlbeton im Blut!

Jetzt mal ganz im Ernst: Wie verbittert sind solche Leute eigentlich? Warum wird die Moderne so oft als etwas ganz, ganz Schlimmes dargestellt? Auf welchem Feld würden wir denn alle nach Wurzeln und Käfern suchen, dürften wir nicht an der Moderne teilhaben? Oder sehe ich das alles falsch, weil ich zu viel „Stahlbeton im Blut“ habe? Mir hat mal bei einer Diskussion über den Abriß des düsseldorfer Tausendfüßlers ein Architekt, der für den Abriß der Hochstraße war, gesagt, ich könne mir über die Situation so wie so kein Urteil bilden, ich sei ja keine Architektin. Gut, der Abend endete dann auch in einer Schlägerei (an der ich leider nicht beteiligt war).

Vielleicht habe ich wirklich keine Ahnung oder einfach zu viel Phantasie. („Wer keine Phantasie hat, dem ist nicht zu helfen“, sagt LeCorbusier in „Vers une Architecture“, 1920. Das ist auch ein ganz, ganz schlimmes und v.a. modernes Buch, in dem es um Licht, Luft und Sonne geht, um Automobile, Ozeandampfer, Geometrie und Proportion.)

Wenn ich ein Gebäude wie das Philipshaus sehe, dann denke ich mir a) „Was für ein spektakuläres Ensemble zusammen mit dem Dorlandhaus auf der anderen Seite der Straßenkreuzung, so stelle ich mir eine moderne Großstadt vor“ und b) „Meine Güte, ist das ein cooler Weltraum-Look!“ Dann folgen vor meinem geistigen Auge Bilder von futurisrtisch angezogenen Leuten, die in stromlinienförmigen Autos vorgefahren kommen, mit dem Überschall-Aufzug in den Konferenzsaal jetten, der sich wohl in dem charakteristischen, den oberen Stockwerken des Gebäudes vorgelagerten Würfel befindet, und dort über das weitere Weltgeschehen sinnieren.

Findet der „normale Bürger“ so etwas denn wirklich schöner? 


Diesen gnadenlosen Individualismus, der sich in der Anzahl der Dachflächen- und Sprossenfenster manifestiert?

Dann bin ich vielleich einfach ein verbitterter alter Mann, der einer Vergangenheit nachtrauert, in der man noch an eine coole Zukunft geglaubt hat. Oder ein Kind, das in seiner eigenen Spielwelt lebt und von Burgen und Ufos träumt. Oder eben doch eine mitteljunge Dame, deren Eltern bei ihrer Erziehung mehr darauf hätten achten sollen, daß sie weniger James-Bond-Filme schaut und nicht so viel im Zauberberg liest.

Wenn Ihr mich sucht, ich bin auf meinem imaginären Sonnendeck und blättere die Architekturmagazine der letzten vier Jahrzehnte durch, allen voran die "Internationale Asbestzement-Revue".