surveillance souterraine
Ein
Film von Julia Zinnbauer
Mit
Alwina Heinz, Sandra Labs, Patrizia Lohmann und Julia Zinnbauer
Kamera,
Schnitt, Kostüme, Regie: Julia Zinnbauer
Die Architektur
Im
Jahr 2002 wurden im Düsseldorfer Stadtteil Oberbilk drei neue U-Bahnstationen
eröffnet (Handelszentrum/Moskauer Platz, Oberbilker Markt und Oberbilk). Der
Architekt Wolfgang Döring hatte mit seiner Konzentration auf die Farben
Schwarz, Weiß, Grau und Rot, durch den Einsatz kostbarer Materialien und einem
ausgeklügelten Zusammenspiel von Linien und Flächen drei Gebäude entworfen, in
denen sich alle Elemente elegant aufeinander beziehen und ein harmonisches
Gesamtbild schaffen.
Durch
den Kontrast zu den oberirdischen Gebäuden des Stadtteils und dem perfekten
Gesamtkonzept der drei hintereinander liegenden unterirdischen Bahnhöfe fühlt
sich der Reisende mit Betreten der Anlage wie in eine andere Welt versetzt.
Seit Jahren vertiefe ich mich, während ich am Bahnsteig der Haltestelle
Oberbilk auf meine U-Bahn warte, in die Details von Dörings Entwurf. Obwohl ich
schon lange in Oberbilk wohne und dies meine Heimat-Haltestelle ist, staune ich
dennoch jedes Mal erneut darüber, wie sich die einzelnen Elemente des Gebäudes
zu einem Gesamtkunstwerk verbinden. Aus diesem Grund habe ich den drei
U-Bahnhaltestellen von Wolfgang Döring im Stadtteil Oberbilk eine Videoarbeit gewidmet, die ganz auf deren Charakteristika eingeht.
Die Fahrt mit der Rolltreppe hinunter zu den Bahngleisen lässt den Besucher in weite, offene Räume schweben, und gerade die Bewegung intensiviert die Wahrnehmung der Architektur. Man ist überrascht von der riesigen Höhe der unterirdischen Räume, vom hellen glänzenden Weiß der mit Neoparies verkleideten Wände, einem mit Glas beschichteten Kunststein, der in ausschließlich in Japan hergestellt wird. Man staunt darüber, wie der graue Granit des Bodens mit dem Edelstahl von Rolltreppen, Türen und Bänken und dem Schwarz der Decke und des Kiesbetts eine Einheit bilden, akzentuiert von einigen schlanken, leuchtend roten Informationssäulen. Steht man dann am Bahnsteig, vertieft man sich automatisch in die Feinheiten der Gestaltung, in die bis ins Detail aufeinander abgestimmten Proportionen der einzelnen Elemente. Sogar die Typographie der Beschilderung bezieht sich auf den gesamten Verlauf der Fugen.
Die
Fugen sind es auch, die dem Raum seinen Rhythmus und seine Ordnung geben. Die
Wände, Decken und Böden der drei U-Bahn-Gebäude sind allesamt mit Platten
verkleidet, die zwar aus verschiedenen Materialien bestehen, allerdings fast
überall die gleichen Maße aufweisen. Die Fugen wirken somit wie ein
Koordinatensystem. Folgt man einer der Linien mit den Augen über den Boden, die
Wände und die Decke hinweg, ist man erstaunt, wieder exakt am eigenen
Standpunkt anzukommen.
Fugen sind generell ein wichtiges Gestaltungselement in den Entwürfen Wolfgang Dörings, aber auch in der Architektur der Sechzigerjahre im Allgemeinen. Dort liegen auch die Anfänge von Dörings Schaffen. Bereits im Jahr 1967 entwarf er mit dem Haus Meyer-Kuckuk in Bad Honnef eines der heute bekanntesten Fertighäuser der deutschen Architekturgeschichte.
Die
Gestaltung der Bahnsteige nimmt auch die Bewegung der auf Schienen einfahrenden
U-Bahnen auf. Gelangt man aus dem Dunkel des Tunnels heraus in den hellen Raum
des Bahnhofs, gleitet die Bahn eine ganze Weile entlang der parallel
verlaufenden Streifen der grauen Granitverkleidung, bevor die horizontalen
Linien durch die Möbel der Haltestelle unterbrochen werden und die Bahn
schließlich zum Stehen kommt.
surveillance souterraine
Die
Grundidee meines Films liegt darin, dass der in den drei Gebäuden
vorherrschende Rhythmus aus Linien und Flächen aufgenommen und in die
Bewegungen der Figuren und die Geschwindigkeit der Schnitte übertragen wird.
Die Figuren folgen den Linien zunächst staunend mit den Augen, lassen sich
zunehmend von ihnen in Bewegung versetzen, bis das Video aus einer rhythmischen
Aneinanderreihung von zahllosen Bildern und Bewegungen besteht. Statik und
Dynamik werden einander entgegen gesetzt. Die Aufnahmen der drei Haltestellen habe
ich so zusammengeschnitten, dass der Eindruck eines gesamten unterirdischen
Reichs entsteht, in dem die Figuren des Videos bzw. dessen Betrachter bald die
Orientierung verlieren. Die Bildkomposition transportiert zudem die Strenge der
Architektur.
Die Kostüme
Die
Kostüme der vier Protagonistinnen spiegeln in ihrer unterschiedlichen
Transparenz, in ihren Oberflächen, Farben, Materialien und Formen das Typische
der Gebäude wider. Es geht dabei um eine skulpturale Sicht auf Architektur und
Kleidung, also beispielsweise um Fragen der Proportion, der Symmetrie und der
Allansichtigkeit. Bei genauem Hinsehen
entdeckt man sogar Parallelen zwischen den Reißverschlüssen der Kleider und den
Rolltreppen der U-Bahnhöfe. Die Kostüme habe ich eigens für „surveillance
souterraine“ entworfen und angefertigt.
Der
Architekt Werner Ruhnau, von dem das Musiktheater Gelsenkirchen stammt
(eröffnet im Jahr 1959), ist der Ansicht, dass ein Architekt ein „Rhythmiker“
sein und einen Tanzkurs belegt haben soll. Diese Idee Ruhnaus hat mich
zusätzlich in meinem Plan bestärkt, Bewegung, Raum und Rhythmus in meinem Video
miteinander zu verbinden.