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Dienstag, 18. Oktober 2022

FLYOVER. Los Angeles und die Architektur der Nachkriegsmoderne in Düsseldorf

Rückblick auf die Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf

4. August 2019 - 15. September 2019


Julia Zinnbauer, Ausstellungsansicht FLYOVER, Stadtmuseum Düsseldorf

Ausstellungsansicht: links: Das Case Study House #20 von Pierre Koenig; Foto: Julia Zinnbauer (2009); rechts: Das Kleid für die autogerechte Stadt; hinten: Rauminstallation"Flugsimulator" mit Projektion des Films "FLYOVER" (beides 2019)





























In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland ein reger architektonischer Austausch. Auch von Düsseldorf aus flogen Architekten nach New York, Chicago und Los Angeles, um sich mit modernen Gebäuden auseinanderzusetzen, sich Anregungen für den Wiederaufbau ihrer zerstörten Heimatstadt zu holen und um einen ideellen Anschluss an das Bauhaus herzustellen. Umgekehrt reiste beispielsweise der Architekt Richard Neutra von Los Angeles aus mit seinen Entwürfen an den Rhein und ins Bergische Land. Neuerungen wie Konzepte für Großraumbüros und Einkaufszentren gelangten auf diese Weise nach Düsseldorf und vor allem die Idee des kalifornischen Bungalows wurde dort begeistert aufgenommen.

Die Ausstellung FLYOVER handelte von den architektonischen Zusammenhängen zwischen Düsseldorf und Los Angeles in der Nachkriegszeit, sie war aber auch dem optimistischen Glauben an die Moderne gewidmet und der Sehnsucht nach dem Glamour des Jetset-Zeitalters.

Für meine Ausstellung reiste ich nach Los Angeles und drehte dort einen Film, in dem ich meine Besuche verschiedener Gebäude Richard Neutras dokumentierte. In dem so entstandenen Film kommt unter anderem auch Dion Neutra zu Wort, der Sohn des Architekten, der mich in dessen Reunion House und das VDL Research House in Los Angeles Silverlake einlud und mir von der langjährigen Zusammenarbeit mit seinem Vater und der Entstehungsgeschichte dieser und weiterer Häuser berichtete. In Düsseldorf besuchte ich den Architekten Walter Brune, der mir seine Bungalowentwürfe und sein Verhältnis zu Amerika und zum Bauhaus erklärte.

Dies und was das alles auch mit der Düsseldorfer Hollywood-Schauspielerin Luise Rainer zu tun hatte erfuhren die Besucherinnen und Besucher ab dem 4. August 2019 im Stadtmuseum Düsseldorf, wo ich unter dem Titel FLYOVER meine Rechercheergebnisse in Form von Fotos, Videos, Texten und einer Rauminstallation präsentierte.


 

Zur Finissage der Ausstellung hielt Bazon Brock im Rahmen der Denkerei mobil am Sonntag, dem 15. September einen Vortrag mit dem Titel:

Re - education durch Architektur. Wie die Amerikaner den Deutschen das Senkrechtstehen beibringen wollten - Stahlskelettbau und Charaktermasken“.

 

Die Ideen hinter der Ausstellung 

Der Ausstellungstitel FLYOVER bezieht sich auf den architektonischen Austausch zwischen Düsseldorf und den Vereinigten Staaten von Amerika in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere aber auf die Flüge zwischen Düsseldorf und Los Angeles, von DUS nach LAX und zurück.

Tatsächlich fand dieser Austausch in beiden Richtungen statt, und so flog der junge Architekt Walter Brune, der gerade erst einen großen Erfolg mit dem Entwurf der Zeche Prosper Haniel gefeiert hatte, bereits Anfang der 50er Jahre nach Los Angeles, um dort Richard Neutra zu treffen. Im Lauf seines Lebens reiste er immer wieder in die Vereinigte Staaten, lernte Bauhaus-Architekten wie Mies van der Rohe kennen und arbeitet jahrelang zusammen mit Marcel Breuer in New York. 

Walter Brunes Erfahrungen in Los Angeles lassen sich am Entwurf seines eigenen Bungalows ablesen, dem Barbarahof in Düsseldorf Rath, zusammen mit der große Begeisterung des Architekten für das Bauhaus, sowie an den folgenden elegant-funktionalen, minimalistischen Wohnhaus-Entwürfen Walter Brunes.  

 

FLYOVER, Julia Zinnbauer, Walter Brune, Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf
Besuch bei Walter Brune in seinem Barbarahof in Düsseldorf Rath; Interview für den Film FLYOVER; Projektion in der gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum Düsseldorf 2019


 
 
 
Auch der Düsseldorfer Architekt Paul Schneider-Esleben ist dafür bekannt, dass er immer wieder in die USA geflogen ist und Ideen und Innovationen mit zurück nach Düsseldorf zu bringen. Seine Flüge, zusammen mit seinem Entwurf für den Flughafen Köln-Bonn, brachten ihm schließlich sogar den Spitznamen Schneider-Jetleben ein. 
 
Umgekehrt flog aber auch der Architekt Richard Neutra, der ursprünglich aus Wien stammte und bereits 1924 von Berlin aus über Chicago nach Los Angeles ausgewandert war, einige Male nach Düsseldorf. Im Jahr 1959 nahm Neutra am Wettbewerb um den Entwurf für das neue Schauspielhaus teil, zu dem man ihn eingeladen hatte.  Auch Neutras Teilnahme an dem Wettbewerb ist Thema meines Films FLYOVER.
 
 
 
FLYOVER - Der Film zur Ausstellung
Kamera, Schnitt, Kostüm, Idee: Julia Zinnbauer
Mit Walter Brune, Dion Neutra, Ken Topper, Julia Zinnbauer Düsseldorf,
Los Angeles 2019
98 min.
 
 
Moderne Büro- und Einkaufsarchitektur in Düsseldorf 
 
In der Ausstellung FLYOVER geht es aber auch um den Einfluß der modernen amerikanischen Architektur der Nachkriegszeit auf Düsseldorf im allgemeinen. So spielt vor allem auch die Horten Hauptverwaltung aus dem Jahr 1959 von Helmut Rhode eine Rolle, die als erstes Gebäude des neu angelegten Büroviertels Am Seestern und als erstes deutsches Großraumbüro nach amerikanischem Vorbild entstand, sowie die Geschichte der Horten-Kachel nach einem Entwurf des Architekten Friedel Kellermann. 
 

FLYOVER, Stadtmuseum Düsseldorf, Hortenkachel, Friedel Kellermann, Julia Zinnbauer
Video ASTEROIDA; Hortenkacheln aus Krefeld und Düsseldorf; der Architekt Friedel Kellermann, der zusammen mit Helmut Rhode das Architekturbüro RKW gründete, erklärt mir bei seinem Besuch in der Ausstellung seinen Entwurf der Hortenkachel

 

ASTEROIDA
Video
Kamera, Schnitt, Kostüm, Idee, Performance: Julia Zinnbauer
Düsseldorf 2014/2019
6.35 Min.

 

Der Tausendfüßler

Der Titel FLYOVER bezieht sich auch auf die elegante Hochstraße, die bis zum April 2013 die Düsseldorfer Innenstadt überspannte, auf den Tausendfüßler von Friedrich Tamms von 1961/62. Über den Tausendfüßler schwebte man schwungvoll an der modernen Vorhangfassade des Dreischeibenhauses vorbei und fühlte sich einen Moment lang wie in einer amerikanischen Großstadt. Der Tausendfüßler war ein typischer Flyover. Friedrich Tamms spielt aber auch eine Rolle in der Geschichte um Neutra und das Schauspielhaus.

Richard Neutra lernte Tamms, der Ende der 50er Jahre im Stadtplanungsamt tätig war, im Rahmen des Schauspielhaus-Wettbewerbs kennen. Die schriftliche Korrespondenz zwischen den beiden Architekten befindet sich heute in Los Angeles, im Archiv der UCLA. Tamms machte Neutra mit u.a. auch mit dem Ehepaar Gabriele und Konrad Henkel bekannt, die ihn mit dem Entwurf eine Bungalows beauftragten, der allerdings, wie auch Neutras Theaterentwurf, nie gebaut wurde. Stattdessen realisierte Richard Neutra schließlich zwei große Bungalowbauten in Wuppertal, Haus Kemper und Haus Pescher.

Die Ausstellung FLYOVER ist dem Tausendfüßler gewidmet sowie der Tatsache, dass ich bis heute dessen Arbriß nicht verwunden habe. Auch das „Kleid für die autogerechte Stadt“, das Teil der Ausstellung ist, habe ich in meiner Begeisterung für den Tausendfüßler entworfen und genäht. 

  

Die Geschichten hinter den Exponaten

Bei all meinen Projekten geht es mir darum, die Schönheit und die Atmosphäre außergewöhnlicher Bauten zu konservieren sowie deren Geschichten und die ihrer Architekten und ihrer Bewohner zu erzählen. Somit steht hinter jedem Exponat der Ausstellung FLYOVER eine eigene Geschichte, wobei alle Exponate und Geschichten ineinander greifen und zusammen ein Ganzes bilden.

Dabei erzähle ich beispielsweise von der goldenen geodätischen Kuppel, deren Fragment über der Ausstellung hängt. Das Kuppelfragment soll an all die Gebäude erinnern, die im Geist der Moderne gebaut wurden und heute schon nicht mehr existieren, so wie die goldene Kuppel selbst, die Teil eines Freizeitparks war und auf die sich meine Rauminstallation „Flugsimulator“ bezieht. Ich berichte von den hellblauen Blusen, die die ursprüngliche Besitzerin eines frühen Bungalows von Paul Schneider-Esleben im Lauf ihres Lebens genäht hat und nicht zuletzt erzähle ich auch meine eigene Geschichte, die damit beginnt, dass ich in einem typische Bungalow aus den frühen 70er Jahren aufgewachsen bin, was meine gesamte Weltsicht geprägt hat. Und ich erzähle auch von der Düsseldorfer Hollywood- Schauspielerin Luise Rainer. 

 

FLYOVER, Louise Rainer, Stadtmuseum Düsseldorf
 































































 
Luise Rainer, Richard Neutra und Julius Shulman

Eine architektonische Verbindung zwischen Düsseldorf und Richard Neutra existierte tatsächlich schon lange vor dessen Teilnahme am Wettbewerb um den Entwurf des Schauspielhauses, und zwar über die Düsseldorfer Schauspielerin Luise Rainer. In den 30er Jahren wanderte sie nach Los Angeles aus und gewann in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einen Oscar als beste Hauptdarstellerin. Wie ich in Los Angeles herausgefunden habe, lebte sie dort in den von Richard Neutra 1937 gebauten Strathmore Apartments auf dem Gelände der UCLA. 

Julius Shulman fotografierte Luise Rainer und Richard Neutra damals in der Wohnung der Schauspielerin. Dieses Foto ist, zusammen mit dem Gemälde Arthur Kaufmanns von Luise Rainer aus der Zeit, bevor sie nach Hollywood ging, ein Glücksfall für die Ausstellung FLYOVER.

Im Jahr 1948 übernahm der Herausgeber John Entenza in Los Angeles die Zeitschrift „Arts and Architecture“ und rief das so genannte „Case Study House Program“ aus. Er rief Architekten dazu auf, Entwürfe für Wohnhäuser einzureichen, die kostengünstig und im Idealfall aus industriell hergestellten Materialen zu bauen sind. Richard Neutra, das Ehepaar Eames und Pierre Koenig sind einige Architekten, die an Entenzas Program teilnahmen. Heute betrachtet man die Häuser, die im Rahmen des Case Study House Programs gebaut wurden, als absolute Traumhäuser und als Ikonen der modernen kalifornischen Architektur. Maßgeblich dazu beigetragen hat Julius Shulman, der mit seinen perfekt komponierten Fotografien, die er jahrzehntelang für „Arts and Architecture“ aufgenommen hat. Architekten in Europa bzw. in Deutschland waren in der Nachkriegszeit auf amerikanische Zeitschriften wie Entenzas Magazin angewiesen, genau so wie auch Künstler und Galeristen. Insgesamt hatten Julius Shulman und John Entenza einen großen Einfluß auf die Verbreitung des Bungalow-Ideals in Deutschland und ich freue mich, dass über Luise Rainer eine so schöne Verbindung zu Düsseldorf und zu meiner Ausstellung besteht.


FLYOVER, Pierre Koenig, Stahl House, Julia Zinnbauer

Pierre Koenig: Case Study House #22, Los Angeles 1960; Foto: Julia Zinnbauer 2009


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 





 
 
FLYOVER - Filmdreh in Düsseldorf und Los Angeles

Für die Ausstellung FLYOVER bin ich noch einmal nach Los Angeles gereist und drehte dort den Film FLYOVER, in dem ich meine Besuche verschiedener Gebäude Richard Neutras dokumentiere. Ich sprach mit Dion Neutra, dem Sohn des Architekten, der mich in das von seinem Vater entworfene Reunion House und in das VDL Research House in Los Angeles Silverlake einlud und mir von seiner langjährigen Zusammenarbeit mit seinem Vater und der Entstehungsgeschichte dieser und weiterer Häuser berichtete. In Düsseldorf besuchte ich den Architekten Walter Brune, der mir seine Bungalowentwürfe und sein Verhältnis zu Amerika und zum Bauhaus erklärte. 
 
FLYOVER, Dion Neutra, Julia Zinnbauer, VDL Reasearch House

FLYOVER: Filmstill; Besuch bei Dion Neutra, Richard Neutras Sohn und langjährigem Mitarbeiter; Dion Neutra bekommt im VDL Research House in Los Angeles Silverlake Walter Brunes Bungalowbuch überreicht


Im zweiten Raum der Ausstellung waren meine Fotografien von Gebäuden von Richard Neutra, John Lautner, Walter Brune und Paul Schneider-Esleben zu sehen, so wie mein Video "Avion and Silverlake" (2017/18), das von meinem ersten Besuch bei Dion Neutra handelt sowie Richard Neutras Siedlung Avion Village in der Nähe von Dallas, Texas.















Der zweite Ausstellungsraum; Richard Neutra: Kaufmann House, Palm Springs 1947; Foto: Julia Zinnbauer 2019















Richard Neutra: Lovell Health House, Los Angeles 1927; Foto: Julia Zinnbauer 2019 

 


Berichte über FLYOVER in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf

Als Vorankündigung der Ausstellung FLYOVER im Stadtmuseum Düsseldorf erschien am 29. Juli 2019 in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf ein Interview, das Kulturredakteur Thomas Frank mit mir geführt hatte:

https://www.wz.de/nrw/duesseldorf/wie-los-angeles-die- duesseldorfer-architektur-praegte_aid-44614773

Zusätzlich zu seinem Interview veröffentlichte Thomas Frank am 16. August 2019 eine Besprechung der Ausstellung FLYOVER in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf:

https://www.wz.de/nrw/duesseldorf/kultur/stadtmuseum-duesseldorf- zeigt-architektur-ausstellung-flyover_aid-451034