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Freitag, 15. Februar 2019

Ein Bungalow in den Farben des Mittelmeeres - Teil vier meiner Serie über Paul Schneider-Esleben in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf

Was hat ein Flachdach-Bau im Düsseldorfer Umland mit hellblauen Autos und der Côte d’Azur zu tun?



Julia Zinnbauer, Westdeutsche Zeitung Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben

Der vierte Teil meiner Serie über Paul Schneider-Esleben und den ersten Flachdach-Bungalow, den er Anfang der 1950er Jahr entwarf, ist am vergangenen Montag, dem 11. Februar, in der Westdeutschen Zeitung Düsseldorf erschienen. Da ich mich zu dieser Zeit jedoch auf einer sehr aufregenden, ganz der Architektur Richard Neutras gewidmeten Berlin-Reise befand, halte ich mein WZ-Exemplar erst jetzt in Händen und staune über das elegante Layout. Nach all den kunstgeschichtlichen und politischen Zusammenhängen, um die es in den ersten drei Kapiteln ging, handelt der vierte Teil von dem eigentlichen Leben in dem für die Gegend zwischen Düsseldorf und Wuppertal ungewöhnlichen Bungalow, sowie von all dem, wofür der Name Schneider Esleben steht: von cooler Architektur und dem glamourösen Jetset-Leben zwischen Düsseldorf und der Côte d’Azur.

Das Leben im Bungalow
Die Bewohner von Gruiten schauten ziemlich skeptisch, als dort auf der Parkstraße Anfang der 1950er Jahre ein Haus gebaut wurde, das so ganz anders war als die übrigen Häuser im Dorf. Eigentlich sah man gar nicht so viel von dem schmalen Gebäude, das zur Straße hin mit einer weiß fensterlosen Wand ganz abgeschlossen war. Wie weit es sich auf seinem Grundstück zwischen all den alten Bäumen nach hinten erstreckte, konnte von der Straße aus niemand erkennen. Auch das eigentliche Dach des Hauses schien lange auf sich warten zu lassen. In der Gegend um Gruiten herum beginnt das flache Rheinland langsam ins Bergische überzugehen, wo man seit Jahrhunderten mit Schiefer verkleidete Fachwerkhäuser mit spitzen Giebeln baut. Das, was sich die Familie aus Düsseldorf da errichten ließ, kannte man in Gruiten höchstens aus Hollywoodfilmen. Zumindest der hellblaue Käfer, mit dem der Vater jeden Abend nach Hause kam, sah vertraut aus. Die Erwachsenen wunderten sich, die Gruitener Kinder nahmen das Haus einfach in Besitz.

Mit einem Flachdach-Bungalow zeigte man 1952, in der gerade erst gegründeten Bundesrepublik, dass man an einen Neuanfang und an eine bessere Zukunft glaubte. Ein Flachdach war das optimistische Bekenntnis zu den Idealen der Moderne und eine Abkehr von allem, wofür das Dritte Reich gestanden hatte. Der Bungalow, den der Architekt Paul Schneider-Esleben für das Ehepaar Erich und Irmgard Riedel entwarf, war eines der ersten Wohnhäuser mit flachem Dach überhaupt, das zu dieser Zeit in Westdeutschland gebaut wurde. Die Kinder aus der Nachbarschaft, die sich mit den Kindern der zugezogenen Familie anfreundeten, ahnten weder etwas vom theoretischen Hintergrund noch vom Symbolwert des Bungalows. Sie wussten nicht, dass das Haus später einmal als „Trompetenstoß der Moderne“ in die Geschichte eingehen sollte. Intuitiv verstanden sie, worin das Besondere des Hauses lag. Um auch von den Erwachsenen nicht länger als Fremde betrachtet zu werden, gaben Riedels alle handwerklichen Aufgaben bei lokalen Betrieben in Auftrag. Einzig die Möbel, die Schneider-Esleben für sie entworfen hatte, wurden in Krefeld angefertigt, in der Werkstatt von Johannes Althoff. 

 

Wenn Irmagrd den Handwerkern die gläserne Eingangstür öffnete und diese die junge Frau mit Jeans und Pferdeschwanz nach der Dame des Hauses fragten, musste sie jedes Mal lachen. Irmgard war zusammen mit ihrem Mann Erich, der sich mittlerweile als Patentanwalt selbstständig gemacht hatte, schon oft vom nahegelegenen Flughafen aus nach New York geflogen. Dort hatte sie viel zu viel Coolness geatmet, um zu Hause eine damenhafte, Düsseldorfer Direktorengattin zu mimen. Viel mehr interessierte sich Irmgard für ihren Garten. Sie wollte im Freien sein, die Jahreszeiten und die Witterung erleben und für genau diesen ungezwungenen Lebenstil war ihr Bungalow gemacht, ganz im Sinne des kalifornischen Vorbilds. Der fließende Übergang zwischen innen und außen gehörte zu den Grundideen dieser Gebäudeform, zudem befand sich das Haus auf dem Areal einer ehemaligen Baumschule und war umstanden von schönen, großen, alten Bäumen. Im hinteren Teil des Grundstücks legte Irmgard einen Nutzgarten an. Heute würde man vermutlich von einem Biogarten sprechen. Die Kinder, die zu Besuch kamen, schwärmten ihren Eltern vor, dass es bei Riedels irgendwie ganz anders zuging und dass sogar das Essen außergewöhnlich schmeckte. Ohne genau zu wissen, was es mit der Architektur des Bungalows und der Weltanschauung seiner Bewohner im Detail auf sich hatte, spürten die Gruitener Kinder, dass dort eine Atmosphäre von Weltoffenheit und Freiheit herrschte. Aus dem zunächst noch geheimnisvollen Haus wurde bald eine Art Jugendzentrum. 
 
Julia Zinnbauer, Westdeutsche Zeitung Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben





Während Irmgard Riedel ihren Garten kultivierte, Erich seine Callas-Platten auf dem modernen, von Schneider-Esleben entworfenen Hifi-Schrank abspielte, sich die Kinder kichernd durch den Garten scheuchten und aus dem nierenförmigen Pool kommend nasse Fußabdrücke auf dem Terrassen- und dem Wohnzimmerboden hinterließen, wehte der Wind einige Blätter ins Haus. So zogen die Jahre und die Jahreszeiten vorbei. Bis tief in den Herbst hinein spielten die Kinder draußen. Dabei war bei dem zum Garten hin weit geöffneten Haus nie so ganz klar, wo das Innen aufhörte und das Außen begann. Auch die Erwachsenen saßen auf der Terrasse, feierten, unterhielten sich und tranken Wein - bis spät in die Nacht und spät in den Herbst. Wenn es dann im Winter draußen eiskalt war, saß man im Wohnzimmer am warmen Kamin und hatte dank der bodentiefen Fenster das Gefühl, nicht im geringsten von den verschneiten Tannen getrennt zu sein.

Hellblaue Autos und das tiefblaue Mittelmeer
Einer der ersten Urlaube führte Familie Riedel nach Südfrankreich. Erich hatte Beziehungen zu Jacques Cousteau und dessen ozeanographischen Institut in Monaco und machte sich zusammen mit seiner Familie immer wieder im hellblauen, viertürigen Mercedes auf den Weg in den Süden. Dort mieteten sich Riedels ein Ferienhaus, von dessen Balkon aus man direkt auf das Meer sah. In Gruiten hatte Schneider-Esleben sämtliche Fensterrahmen des Bungalows in der Farbe der Sehnsucht und der Ferne streichen lassen, in einem hellen Blau. So wie Riedels nach Südfrankreich reisten, entwarf sich der Architekt sein eigenes Segelboot und befuhr damit das Mittelmeer. Zu dem Gefühl, im Sommer barfuß über die warmen Steine der Terrasse zu laufen und dann die kühleren Bodenplatten im Wohnzimmer unter seinen Füßen zu spüren, mochte das Hellblau der Fensterrahmen gut gepasst haben. Auch in anderen Gebäuden des Architekten taucht die Farbe immer wieder auf - im Berliner Hansaviertel, im Mannesmann-Hochhaus und auch in der Hanielgarage, beide in Düsseldorf. Mit der Hanielgarage, die beinahe nur aus Glas, türkisblauen Fensterrahmen und zwei am Dach aufgehängten, elegant geneigten Rampen besteht, hatte er gleich zu Beginn seiner Karriere der Geschwindigkeit und dem Fortschritt ein kristallines Denkmal gesetzt. 

Paul Schneider-Esleben in seinem Mercedes 190 SL vor der Rolandschule in Düsseldorf









 

So verwundert es nicht, dass auf dem offiziellen Foto der Rolandschule, die er 1957- 61 in Düsseldorf Golzheim baute, Schneider-Esleben selbst in seinem Mercedes 190 SL Cabrio vorfährt. Erich Riedel teilte diese Begeisterung für Autos, wie schon die Anzahl seiner Garagen zeigte. Schließlich kaufte er sich das gleiche Cabrio wie der Architekt, in einer etwas dunkleren Nuance als der hellblaue Familien-Mercedes. Mit dem Auto fuhren Riedels an den Wochenenden mit befreundeten Ehepaaren nach Düsseldorf, um ins Theater oder einkaufen zu gehen. Vor allem Erich legte großen Wert auf maßgeschneiderte Anzüge, die er natürlich in der aufblühenden Modemetropole anfertigen ließ. Die besondere Bedeutung, die er seinen Autos beimaß, hatte zusätzlich zu allen Eigenschaften, die sein Haus so typisch für einen kalifornischen Bungalow machten, ebenfalls mit diesem Vorbild zu tun. Denn erst die Entwicklung des Autos und dessen zunehmende Erschwinglichkeit ermöglichte es den Bewohnern der Städte, die engen Zentren zu verlassen und in die räumliche Weite der Vororte zu ziehen. So wuchs Los Angeles, das Urbild der autogerechten Stadt, parallel zur Entwicklung des Autos in die Fläche anstatt in die Höhe, und ähnlich verhielt es sich mit Düsseldorf. 


Julia Zinnbauer, Westdeutsche Zeitung Düsseldorf, Paul Schneider-Esleben