MODE KUNST ARCHITEKTUR

Dieser Blog ist dem Material gewidmet, der Konstruktion, der Technik, der Opulenz und der Schönheit, dem Spektakulären, Aufregenden, Anekdotischen, den kleinen Details und dem großen Gesamteindruck, der Bewegung, der Farbe, dem Vergangenen und der Zukunft.

Mittwoch, 11. November 2015

Mit dem Flying Dutchman im Goldenen Schnitt über den Gardasee


Verschiedene Daseins- und Ausdrucksformen allzu streng voneinander zu trennen, sie in Kategorien einzuteilen und sie am Ende in eine wertende Reihenfolge zu bringen, finde ich oft ein wenig unaufregend. Dagegen bin ich um so begeisterter, wenn sich auf einmal ganz viele verschiedene Elemente miteinander verbinden und einzelne Kunstformen wie Literatur, Architektur, alle Arten von Bildern, Mode, Bildhauerei, Choreographie, aber auch das Leben selbst, das Anekdotische, Menschliche, die Landschaft, die Bewegung und die Geschwindigkeit plötzlich ein überwältigendes Ganzes bilden, ein Gesamtkunstwerk. Nach Oscar Wilde ist das Leben selbst das größte Kunstwerk, das es zu gestalten gilt, die ganz große Inszenierung.



Vor kurzem habe ich genau so einen Zusammenschluss vieler verschiedener und allesamt vollkommener Einzelelemente erlebt, ein dreidimensionales, perfektes Bild, durch das ich mich in Pfeilgeschwindigkeit hindurchbewegt habe, im glitzernd reflektierten Licht des Sommers. Ich bin in einem Segelboot über den Gardasee gefahren, in einem weißen Flying Dutchman aus Carbon.

In aufeinanderfolgenden Worten kann man die Situation beinahe gar nicht beschreiben. Stattdessen bedarf es einer absoluten Gleichzeitigkeit, einer Überlagerung der Worte, Bilder und Eindrücke, etwas wie die Gischt selbst, durch die man hindurch schießt, die einem ins Gesicht klatscht und einem in der majestätischen Gebirgslandschaft die Perfektion des Augenblicks vergegenwärtigt – das sich auf den Moment verdichtete Leben.

Foto: J. Grölle





















Wie viele Zufälle waren notwendig gewesen, um jetzt hier zu sein? Wie viel Warten auf Fluren, Warten auf Post, Warten auf Antwort, wie viele ereignislose Wintertage, wie viele Projekte, die Hoffnung bargen, wie viele Überlegungen, vollgeschriebene Seiten, vernähte Stoffbahnen, wie viele Meter Faden, wie viele Bleistifte, Sportstunden, Ausstellungseröffnungen, Bücher, Filme, Zugfahrten, wie viele Teilergebnisse, Kontakte, die wiederum zu anderen Kontakten führten, Überlegungen, die zu Erkenntnissen führten oder zu Zetteln, die schließlich hinter den Schreibtisch gefallen sind, wie viele intensiv durchträumte Nächte waren notwendig gewesen, um jetzt heute hier zu stehen, am Rand eines scharf über das bis zum Horizont millionenfach glitzernde Wasser schießenden, schmalen Segelbootes, weit hinausgelehnt über die Wellen, die immer wieder über dem Körper zusammenschwappen, vor dem blauen Himmel das grellweiße Segel, das die Luft auffängt und zerschneidet, der dumpfe Rums mit dem das Carbonboot auf der glasklar glänzenden, türkisfarbenen Wasseroberfläche aufschlägt, über der die dunstig matten Felsen tausende von Metern in den Himmel aufragen.

DAS ist der perfekte Moment, das auf die perfekte Schönheit konzentrierte Leben, das kleine weiße Segelschiff, das über den glänzenden See auf die rauen Felsen zugleitet – und jede Welle bringt den nächsten perfekten Moment mit sich, wieder ein Sprung durch die Luft, wieder die Gischt im Gesicht und das flirrende Sonnenlicht und wieder und wieder und wieder, bis zur Auflösung.

Der Aspekt des heroischen Posierens in einer idealen italienischen Filmkulisse macht den Segelsport für die Autorin zusätzlich interessant.




















Dann lässt der Mittagswind nach, die Ora, die Fahrt verlangsamt sich und bald kann man ganz am Fuß des riesigen Felsmassivs das historische Elektrizitätswerk von Riva ausmachen. Denn zu all dem Imposanten, Gewaltigen und Erhabenen gehört der mondäne Badeort Riva. Unter der Aufsicht von sonnenbebrillten Italienern, Surflehrern und Badegästen, die stehen bleiben, um das elegante Boot zu bewundern, wird es schließlich in einer dramatischen Choreographie aus dem Wasser gehievt und über Nacht zu den Katamaranen in den Segelclub gerollt. Und während dort die filigranen Maste vor dem sich blassrosa verfärbenden Felsen in den dunkler werdenden Himmel ragen, zieht leise der warme Abendwind auf.

Zu den rein technischen Fakten ist abschließend zu sagen, dass der Flying Dutchman von den beiden Holländern Conrad Gülcher und Uus van Essen entworfen und in seiner Form so weit perfektioniert und auf die Elemente Wind, Wasser und Geschwindigkeit hin modelliert wurde, dass man die Jolle ab 1961 zu den olympischen Regatten zugelassen hat.