Geheime Forschungsstationen
auf den vereisten Gipfeln der Alpen, die nur mit dem Helikopter zu erreichen
sind, eine Villa aus gewölbtem Beton, in dessen Pool man das Gefühl hat, dass
der Beckenrand nahtlos mit dem gebirgigen Horizont jenseits der dürren
kalifornischen Wüste abschließt, ein polypenartiges Meeresschloss aus Stahl,
das man bei Bedarf im Ozean versenken kann - all das sind Architekturen, die
man üblicherweise mit James-Bond-Filmen verbindet. Gemein ist diesen Bauten
neben ihrer exponierten Lage immer, dass sich etwas absolut Neues, technisch
wirkendes mit dem Urigen, Alten, Authentischen verbindet, mit dem Meer, dem
Wüstenkarst, dem ewigen Eis und Schnee, den gewaltigen Feslmassiven. Das
Erhabene ist deutlich zu spüren. Das sind die High-End-Phantasien eines Ken
Adams denkt man, des Bond-Filmarchitekten, in dessen Elternhaus schon Mies van
der Rohe ein- und ausgegangen ist und der Wert darauf legt, zuerst Flugzeuge
fliegen und dann Autofahren gelernt zu haben; oder eines John Lautners, dessen
Phantasie sowieso außerhalb jeglicher Maßstäbe liegt und der seine
Wirkungsstätte zudem in sagenumwobenen Städten wie Los Angeles und Palms
Springs hatte. Ganz soweit muss man
allerdings gar nicht fahren, um sich mit Bauten dieser Zeit zu beschäftigen,
die ganz ähnliche Assoziationen wecken.
Die Stadt Bensberg, die
heute zu Bergisch Gladbach gehört und auf einem Plateau oberhalb der Kölner
Bucht liegt, sollte in den Sechzigerjahren ein neues Rathaus bekommen. Bereits
seit dem Mittelalter existierte dort eine Burg, von der aus man das gesamte
Rheinland im Blick hatte und weit über den Kölner Dom hinausschauen konnte. Man
entschied sich für einen Entwurf Gottfried Böhms, der die Überreste der Burg
ergänzen sollte. Erhalten war zu dieser Zeit noch der Bergfried aus dem 12.
Jahrhundert, eine den Innenhof umgebende Ringmauer aus dem 13. Jahrhundert und
ein weiterer, kleinerer Turm. Böhm brachte das typische Bild einer Burg auf die
Spitze, abstrahierte das Charakteristische der noch vorhandenen Elemente und
entwarf eine mächtige Anlage aus trutzigen Mauern und einem phantastisch
modellierten Treppenhausturm. Der Blick in die Landschaft wird zudem durch
einen eleganten Rhythmus aus Fensterbändern garantiert.
Wie bei Böhms Wallfahrtskirche
in Neviges handelt es sich auch in Bensberg um eine begehbare, ganz aus Sichtbeton gegossen Skulptur, die optisch
und auch haptisch erlebt werden muss. Am imposantesten ist natürlich der
Aufstieg in den markanten Treppenhaus- turm, dessen Fensterband einen
ungebrochenen Blick in die Ferne bietet. Darüber hinaus fallen dem Besucher
unzählige weitere Details ins Auge, die Ausbuchtungen und Winkel der rauhen
Wände und Decken, die Glühbirnen, die in die Decken eingelassen sind, die
Sitzmöglichkeiten, die dem Grundriss des Gebäudes folgen, die großen
Erdgeschossfenster zum Innenhof, die rahmenlos auf den Beton stoßen und immer
wieder die zahllosen Variationen von Aus-, Durch- und Einblicken. Das ringförmige
Arrangement des Ensembles taucht in den Anlagen Böhms immer wieder auf, oft
gruppieren sich die einzelnen Gebäude um einen Platz mit einer Kirche wie im
Fall des Seniorenheims in Düsseldorf Garath oder bei Böhms Kinderheim in
Bergisch Gladbach Refrath. Im Hof der Bensberger Burg steht eine alte Kastanie,
die das Bild schließlich vervollständigt.
Anhängen möchte ich meiner
Ausführung noch, dass ich am Abend meines Besuchs in Bensberg noch einmal zu
Böhms Rathaus zurück- gekehrt bin. Sie Sonne war bereits unter- gegangen und ein
warmer Wind wehte über den dunkler werdenden Burg- hof. Ich saß auf einem von der
Augustsonne aufgewärmten Beton- block zu Füßen des nun düster auffragenden und so
noch märchenhafter wirkenden Treppenhausturms. In dieser merkwürdig
warm-dämmerigen Atmosphäre geriet ich zunehmend in eine gewisse Trance. Es war
genau so, wie man es Böhm damals für seinen Entwurf für Neviges vorausgesagt
hatte: ich befand mich in einem idealen Paralleluniversum. Und plötzlich wurde
mir eines überdeutlich klar: nie zuvor hatte sich so eindeutig die Verbindung zwischen
Sprache, Schrift, Architektur und Bildhauerei manifestiert wie hier. Die
einzelnen Segmente der Fensterbänder bildeten in ihren unterschiedlichen Längen
einen Rhythmus, der beinahe wie ein Gedicht zu lesen war und einer inneren
Logik folgte. Ähnliches habe ich danach nur bei Carl Orffs „Prometheus“ erlebt,
in dem stundenlang altgriechische Ferse rezitiert werden und man bis zum
Schluss so gebannt ist, dass man meint, jedes Wort verstehen zu können.