Der
Wiederaufbau Le Havres nach den Ideen von Auguste Perret fand seinen Abschluss
und Höhepunkt in der Einweihung der Église St. Joseph im Jahr 1964. Außen
mit Waschbetonplatten verkleidet, erschließt sich die eigentliche Dimension von
St. Joseph erst im Inneren, wo das Licht durch millionen von farbigen
Glaselementen auf eine gigantisch anmutende Betonkonstruktion fällt. Wie bei
den Wohn- und Verwaltungsgebäuden Perrets kann man dort, im offenen Innenraum der
Kirche, deren gesamte Konstruktion nachvollziehen. Zahllose Betonpfeiler
gruppieren sich umeinander, um den hoch aufragenden Kirchturm zu tragen. Steht
man inmitten all dieser Pfeiler und Streben und blickt hinauf in das offene
Innere des Turms, glaubt man im schönsten, futuristischsten Atomkraftwerk des
gesamten Landes zu stehen. St. Joseph wird gemeinhin als Mahnmal für die
großflächige Zerstörung Le Havres im Zweiten Weltkrieg bezeichnet und dabei mit
einem Leuchtturm verglichen. Tatsächlich wird nachts die Innenbeleuchtung der
Kirche intensiviert, sodass ihr Licht weit hinaus auf das dunkle Meer fällt und
von den in der Ferne vorbeiziehenden Schiffen aus zu sehen ist.
Perrets
Ideen reichen zurück in die Zwanzigerjahre, in die Zeit, aus der seine andere
sehr bekannte Kirche stammt, Notre Dame de Raincy (1922/23). Auch der Entwurf
für St. Joseph basiert auf einem Plan aus dem Jahr 1926. Bereits damals hatte
Perret eine gigantische Kirche für Paris entworfen, die jedoch niemals gebaut
wurde. Für St. Joseph vereinfachte und verkleinerte er schließlich seinen
Entwurf. Auf diese Weise lässt sich vielleicht auch der ungewöhnliche
Gesamteindruck erklären, den das Stadtbild Le Havres und insbesondere auch die
Église St. Joseph bei Besuchern hinterlässt. Die Gebäude wirken in ihrer
Modulhaftigkeit und der konsequenten Verwendung von Stahlbeton einerseits
absolut fortschrittlich und im besten Sinne des Wortes modern. Andererseits
entsprechen Perrets Bauten so gar nicht dem Bild, das man gemeinhin von der
filigranen Stahl- und Glas-Architektur den Fünfziger- und Sechzigerjahre hat.
Eher noch denkt man an den sozialistischen Klassizismus der Karl-Marx-Allee in
Berlin, die ebenfalls aus den Fünfzigerjahren stammt (oder sogar an den Singing
Tower an der Rainbow Bridge in Niagara Falls, Link).
In
St. Joseph kulminiert diese Mischung aus supermodern und merkwürdig
altmodisch und nirgendwo
sonst steht der immer mit einem etwas biederen Image behaftete, beigefarbene
Waschbeton in Verbindung mit einer so unglaublich futuristischen,
technikbegeisterten Konstruktion wie in Perrets Leuchtturm-Kirche.
Auguste
Perret verstarb 1954, drei Jahre nach der Grundsteinlegung zu St. Joseph, im
Alter von achtzig Jahren. Unter der Leitung von Raymond Audigier wurde der
Kirchenbau zu Ende geführt, 1957 eröffnet und 1964 geweiht. Audigier war
darüber hinaus auch am Entwurf des Musée Malraux beteiligt, dem ersten
Kunstmuseum, das nach dem Krieg in Frankreich eröffnet wurde. An der Schwelle
zwischen Stadt und Meer, direkt am Eingang des Hafens, entstand ein der Malerei
gewidmetes Museum, das in seiner Transparenz und Feingliedrigkeit einen
Kontrast zu Perrets Bauten darstellt, jedoch wie Perrets Entwurf für St. Joseph
das intensive Licht und die Lage Le Havres am Meer thematisiert.