Ratingen
ist eine wehrhafte Stadt im Nord-Osten Düsseldorfs, zu deren Verteidigung schon
vor Jahrhunderten eine ringförmige Stadtmauer angelegt wurde. Auch heute noch
umschließt die teilweise rekonstruierte Mauer die idyllische Altstadt mit
ihren Fachwerkhäusern und der gotischen Kirche St. Peter und Paul, deren Fundamente sogar
noch aus dem 8. Jahrhundert stammen. Besonders bedroht sahen sich die Ratinger
in den Sechzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als ihre Stadt dem nahen
Düsseldorf angeschlossen werden sollte. Aus dieser Zeit stammt auch der Plan,
in Ratingen ein besonders trutzig wirkendes Rathaus zu bauen, das eng mit der
Stadtmauer verwachsen sein sollte. Vielleicht lag es ja zu einem Teil tatsächlich
an der massieve Einheit aus dem neu gebauten, modernen Betongebäude und der
historischen Stadtmauer, am symbolischen Wert der Architektur, dass Ratingen
schließlich selbstständig blieb und die Düsseldorfer unverrichteter Dinge
wieder abzogen.
Das
Ratinger Rathaus entstand in den Jahren 1969 bis 1972 nach Entwürfen von Jörg
Schuler und Ekkehard Jatzlau von Lennep.
Wie ein Bergfried erhob sich das Verwaltungsgebäude mit seinen markanten
Querstreifen über der Stadtmauer und gliederte sich mit seinen Nebengebäuden
und dem mehreckigen Ratssaal elegant in die Ringmauer ein. Das Skulpturale des
Betons bildete mit den unregelmäßigen Steinen des Wehrgangs eine Einheit, das
Historische verband sich mit dem Modernen und die Nähe zu Gottfried Böhms
Rathaus in Bensberg (1963 bis 1969, Link) war von den beiden Architekten durchaus beabsichtigt. Als „ modern,
urban, exquisit, wenngleich auch etwas gewagt“ wurde das Ratinger Rathaus laut
einem Artikel in der RP Online (Link) zur Zeit seiner Einweihung von den
Ratingern bezeichnet. Diese Begeisterung für das moderne Betongebäude, das sich
harmonisch mit dem mittelalterlichen Stadtbild verband und sich auf die lokale
Architektur mit ihren Wehrtürmen und der gotischen Kirche Bezug nahm, liegt
nunmehr vierzig Jahre zurück. Zurzeit kann man sich über eine Webcam den schon
weit fortgeschrittenen Abriss des Ensembles live im Internet anschauen (Link).
Was
stattdessen entstehen soll ist klar: ein rechteckiges Gebäude mit einer
gerasterten Fassade und hohen schmalen Fenstern (Link),
das absolut gar nichts mit der
Umgebung zu tun hat, außer der Tatsache, dass es universell einsetzbar
ist und in
gleicher Form in fast jeder deutschen Kleinstadt bereits schon steht.
Die
Gründe für den Abriss sind genau so klar: der Brandschutz und die
vergammelte
Fassade. Argumente des Architekten Jatzlau, dass man diese in den
vierzig
Jahren nicht ein einziges Mal gereinigt hat, werden überhört, genau so
wie seine Aussage, dass im angeblich brandgefährlichen Foyer gar nichts
brennen konnte.
Ob
die Ratinger Innenstadt durch den Neubau wirklich schöner wird und der
Handel davon profitiert, wird ein Großteil der Besucher niemals
erfahren. Das
ESPRIT-Outletcenter liegt weit außerhalb und man erreicht es,
ohne die Kleinstadtidylle jemals zu betreten.
Meine Fotos des Ratinger Rathauses stammen aus dem Spätsommer 2013.