Das Bild Krefelds als florierende Seidenweberstadt ist in den letzten Jahren ein wenig verblasst. Bereits im 18. Jahrhundert hatte man sich dort auf das Herstellen von Samt, Seide und Brokat spezialisiert, eine zweite Blüte erreichte die krefelder Textilindustrie in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als die Mode wieder nach kostbaren Stoffen verlangte und sich mehrere große Textilwerke zu den Vereinigten Seidenwebereien AG (VerSeidAG) zusammengeschlossen hatten. Der Aufschwung der örtlichen Textilbranche hatte es zur Folge, daß Mies van der Rohe nach Krefeld kam und mit ihm die moderne Architektur.
Die wohl
bekanntesten Gebäude, die Mies für Krefeld entwarf, sind die benachbarten
Villen, die Hermann Lange und Josef Esters in Auftrag gaben, die beide
führend Positionen bei der VerSeidAG innehatten. Die Häuser Esters und Lange
entstanden in den Jahren 1928 bis 30, gefolgt von Produktions-
und Verwaltungsgebäuden für die VerSeidAG im Jahr 1931
(Link). Der Entwurf eines weiteren
Verwaltungsgebäudes Mies van der Rohes für die VerSeidAG wurde damals nicht
umgesetzt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg in einer überarbeiteten Version
von Egon Eiermann gebaut, das heutige krefelder Stadthaus.
Ebenfalls nicht realisiert
wurde Mies‘ Entwurf aus dem Jahr 1930 für den damals gerade erst gegründeten örtlichen
Golfclub, dem schlichtweg die entsprechenden Finanzen fehlte. Der
Kunsthistorikerin Christine Lange, einer Nachfahrin des Seidenproduzenten
Lange, ist es zu verdanken, daß nun, mehr als achtzig Jahre nach der Planung
des Clubhauses, ein 1:1 Modell des Gebäudes entstanden ist. (Link) Etwa 300 Meter
entfernt von dem ursprünglich vorgesehenen Bauplatz, der sich heute in einem Naturschutzgebiet befindet, wurde in den letzten Monaten unter der Leitung des Büro Robbrecht en Daem Architecten aus Gent das neunzig Meter lange
Holzmodell gefertigt.
Die großangelegte Eleganz der Proportionen, die
Weite der Anlage, die Komposition der Flächen, Ausblicke und Sichtachsen, all
das, was so typisch für Mies‘ Architektur ist, kommt an dem Modell so klar zur
Geltung, daß man beinahe vergisst, daß es sich hier um ein Holzmodell handelt.
Mies Überlegungen werden so anschaulich dargestellt, daß der Betrachter dessen
Vorliebe für kostbare Materialien in seiner Vorstellung leicht ergänzen kann. Einzig
die Metallstützen mit dem für Mies typischen kreuzförmigen Querschnitt wurden
mit verchromtem Blech überzogen.
Mies‘ Verständnis von Raum ist auch oder vor
allem in der Bewegung erfahrbar. Es bereitet schieres Vergnügen, die 90 Meter
Länge des Clubhauses abzuschreiten und so die Dimensionen des Ensembles nachzuvollziehen.
Wohl
nie zuvor hat die niederrheinische Landschaft einen ähnlich eleganten Rahmen
gehabt als Mies' großzügige Anlage. Mit weiten Ausblicken und subtil gelegten
Sichtachsen inszenierte Mies die matte Farbigkeit und die weichen Linien der
Landschaft, in die sich das Clubhaus in seiner weitläufigen Form perfekt
einpasst.
Die Vorhänge, die
Anstatt der riesigen Fensterfronten angebracht wurden, sind eine Reminiszenz an
den Ursprung aller Tätigkeiten Mies van der Rohes in Krefeld: sie stammen aus
den Fertigungshallen der Firma VerSeidAG, die heute noch gegenüber der
ursprünglichen Anlage von 1931 Am Girmesgarth produziert.
Am Tag der Eröffnung
des 1:1 Modells, am 26. Mai, gab das typisch niederrheinische Wetter alles, um
zu beweisen, daß filigrane moderne Architektur die Sommerhitze braucht. Es
regnete beinahe unablässig, der Wind trieb die Nässe durch die Fensteröffnungen,
in denen sich ja keine Scheiben befanden und das Eröffnungspublikum war mit
Winterjacken und Gummistiefeln angereist. All das gab der Veranstaltung aber
auch etwas Urig-Authentisches und echte Eleganz kommt so wie so auch trotz
Matsch und Regen zur Geltung.
Bei all der
Begeisterung über die Schönheit des Gebäudes und über die Kühnheit des gesamten
Projekts bleibt aber auch die Melancholie darüber, daß Mies van der Rohes
Golfclub nie gebaut wurde und daß auch das 1:1 Modell bereits im Oktober wieder
zerlegt werden soll.