Das Habiflex ist meines
Erachtens eines der schönsten und zukunftsweisendsten Gebäude, die ich kenne.
Vor allem aus der Vogelperspektive gesehen entfaltet es seine gesamte Rafinesse,
wird einem doch dann erst das geschickt komponierte System aus Terrassen,
Stegen, Kuben und Flächen bewusst.
In den hohen offenen
Wohnzimmern des Habiflex mit ihren Waschbetonwänden und freischwebenden
Treppen, über die man zu den Dachterrassen und oberen Stockwerken der
Penthäuser gelangt, habe ich schon sehr viel Zeit verbracht, allerdings nur in
meiner Phantasie. Seit einigen Jahren sind die unteren beiden Etagen der
Wohnanlage zugemauert und erst vor einigen wenigen Monaten verschwand auch die
allerletzte Öffnung im Mauerwerk.
Wir sind in Wulfen, der Neuen
Stadt, die in den Sechzigerjahren als ein Versuchfeld des zukunftorientierten
Bauens im Norden des Ruhrgebiets angelegt wurde und von Anfang an mit einer zu
geringen Bevölkerungsdichte kämpfen musste (Link). Zwei Wohnbauten stachen damals
in der sorgsam angelegten Bergbausiedlung besonders hervor: die eine, die Metastadt,
ist längst abgerissen, die andere, das Habiflex, ist zugemauert und dem Verfall
preisgegegben.
Als das Habiflex im Jahr
1974 gebaut wurde, glaubten die beiden Architekten des Gebäudes, Richard
Gottlob und Horst Klement aus Gelsenkirchen, so sehr an ihre innovativen Ideen
und die Schönheit ihres Entwurfs, daß sie ihr eigenes Kapital in dessen
Verwirklichung investierten. Vierzig sogenannte Etagenbungalows beinhaltete die
Wohnanlage, wobei die Silbe „flex“ für die Beweglichkeit der Wände und Fenster
stand. Dabei konnte man nicht nur ganz nach Bedürfnis den Wohnraum aufteilen,
auch den Balkon konnte man nach Wunsch in einen Wintergarten verwandeln, je
nachdem wie man die Fenterscheiben in ihren Schienen verschob.
Das Aufeinanderstapeln von Bungalows
erinnert an LeCorbusiers Idee, in modernen Städten mehrere Villen inclusive
Gärten übereinaderzubauen. Und auch das gesamte Erdgeschoß als Garage zu nutzen
und zudem eine Brücke zu planen, die vom ersten Stockwerk ausgehend die
anliegende Jägerstraße überspannt, lässt einen an die visionären Ideen aus
einer Zeit denken, in der Städte noch autogerecht sein sollten. Von den
unangenehmen Dämpfen erzählt man sich in Wulfen, dem heutigen Barkenberg, die
morgens in die Fenster stiegen, wenn die Leute zur Arbeit fuhren. Welches
andere Verkehrsmittel jedoch hätten Klement und Gottlob für den Bewohner des
Zukunftsviertels einplanen sollen, in einer Gegend, in der um die bebaute
Zivilisation herum nur Kühe weiden und eine Eisenbahnlinie in weiter Ferne
vorbeiführt? Von Schwitzwasser spricht man in Barkenberg, das sich in den
flexiblen Räumen sammelte, von Insektenbefall, von wechselnden Eigentümern und
vom langsamen Herunterkommen der gesamten Anlage. Mein Zeitzeuge Oliver, der in
Wulfen aufgewachsen ist und als Jugendlicher beim örtlichen Pizzaservice
gearbeitet hat, erzählt mir immer wieder von einem Pärchen, das ihm im Habiflex
bei seinen Lieferungen stets halbnackt aber gutgelaunt im Treppenhaus entgegengekommen
sei.