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Dienstag, 16. Juni 2015

Mode, Kunst, Moral und das Schöne - Vivienne Westwood besucht Mönchengladbach und hält zwei Vorträge über ihre idealistische Sicht auf die Welt




Einen kurzen Text über Vivienne Westwood zu schreiben erscheint mir als etwas Unmögliches, denn die Britische Modedesignerin entwirft mehr als nur Kleidung, sie entwirft ein ganzes Lebenskonzept. Und so schnitt sie bei den zwei Vorträgen, die sie am vergangenen Dienstag in Mönchengladbach hielt, unendlich viele Themen aus den verschiedensten Lebensbereichen an und bewegte sich eloquent zwischen dem ganz Privaten und der großen Weltpolitik. Dabei wurde vor allem eines offensichtlich: die Basis für das Gelingen aller menschlicher Bestrebungen ist ein an der Kultur geschultes Urteilsvermögen.

Sowohl ihre Naturverbundenheit, die sie seit ihrer Kindheit in Tintwistle einem Dorf in der Grafschaft Derbyshire begleitet als auch ihre Tätigkeit als Grundschullehrerin wirken sich bis heute auf ihr Schaffen aus. Nach wie vor sieht sich Vivienne Westwood als Lehrerin, der die Bildung junger Menschen und das lebenslange Lernen ein ernstes Anliegen ist. Voller Idealismus referierte die Modedesignerin somit zusammen mit ihrem Ehemann Andreas Kronthaler nachmittags vor den Studenten und Studentinnen der Hochschule Niederrhein, um nach einem Pressegespräch im Hochzeitszimmer der Kaiser-Friedrich-Halle am Abend im Saal des historischen Gebäudes vor großem Publikum einen weiteren Vortrag zu halten.

Kultur als Weltformel: das Schöne und das Gute
Unabhängig davon, ob sie nun über Mode, Kunst, Inspiration, menschliche Beziehungen, das Lehren und Lernen, über Werte im Allgemeinen, ob sie über Finanz- oder Klimapolitik sprach – eines war dabei immer der zentrale Punkt: die Kultur. Kultur ermöglicht alles, Kultur ist die Basis von allem Guten, mit Kultur lassen sich die meisten Probleme lösen und  hätten wir mehr Kultur, dann wären wir weder mit der Umwelt noch mit der Finanzlage jemals in Schwierigkeiten geraten.
      Das Faszinierende an Vivienne Westwoods Überlegungen liegt darin, dass sie das Ästhetische und das Moralische als zwei untrennbare Bereiche sieht, die einander bedingen und denen sie den gleichen Wert beimisst. Mit der gleichen Überzeugung, mit der sie T.S. Eliots „Tradition and the Individual Talent“ zitiert, chinesische Malerei bewundert oder von der kulturellen Blüte Frankreichs im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts schwärmt, empfiehlt sie, Plastiktüten mehrfach zu verwenden und Leitungswasser zu trinken, um die Plastikflut zu bekämpfen. Dabei besitzt die überzeugte Vegetarierin so viel Weitsicht hinzuzufügen, dass die Produktion von Plastik weitaus weniger giftig ist als die von Leder.

Kultur, so Vivienne Westwood, ist unbedingt notwendig, um daran sein eigenes Urteilsvermögen zu schulen. Nur wer immer wieder vergleicht, sein wissen erweitert, seine eigenen Schlüsse zieht, erhält einen Einblick in die Möglichkeiten des Menschlichen Genies und ist in der Lage sich fortzuentwickeln. Vivienne Westwood glaubt fest an die menschliche Perfektabilität und auch daran dass man, indem man an sich selbst arbeitet, etwas zu der Weiterentwicklung der gesamten menschlichen Spezies in Richtung von etwas Göttlichem beiträgt. Und so ermutigte sie beispielsweise eine Studentin, die sie fragte, wie man denn nun andere Leute von seinen eigenen idealistischen Überlegungen überzeugen soll, indem sie ihr erklärte, dass es bei den eigenen Taten immer auch darum geht, wer man selbst ist, dass man vieles auch einfach für sich selber machen müsse, auch wenn man niemanden damit überzeugen könne.

Lernen durch Kopieren
Im Kopieren sieht die Lehrerin Westwood beispielsweise eine Möglichkeit, sein Urteilsvermögen zu schärfen. Eine Kopie sei so wie so immer auch etwas Eigenständiges, da sie in einer ganz anderen Zeit als das Original entsteht und immer auch etwas ganz Eigenes des Kopisten mit einschließt. Um wirklich etwas zu lernen, müsse man allerdings etwas ausgesprochen Gutes nachahmen, so wie sich Rubens an Tizian orientiert hat.

Ist man erst einmal ästhetisch gefestigt, so führt das eigene Urteilsvermögen automatisch zu einem gewissen Respekt sowohl vor der Natur als auch vor kulturellen Belangen im Allgemeinen. In Vivienne Westwoods Entwürfen lassen sich diese Grundüberlegungen überall ablesen, sowohl in der Verwendung hochwertiger Materialien und der Herstellung ihrer einzelnen Linien in Europa als auch insbesondere in ihrer gesamten künstlerischen Herangehensweise.

Vivienne Westwood zusammen mit ihrem Ehemann Andreas Kronthaler bei ihrem Pressegespräch im Hochzeitszimmer der Kaiser-Friedrich-Halle

Bereits ganz am Anfang ihrer Karriere als Modedesignerin, als sie erst kurze Zeit nicht mehr als Grundschullehrerein tätig war sondern zusammen mit Malcom McLaren und den Sex Pistols neue Wege beschritt, trennte sie Kleidungsstücke aus den Fünfzigerjahren auf, studierte deren Schnitte genau, variierte die Formen und schuf so etwas ganz Neues. Die intensive Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und die Neuinterpretation historischer Schnitte begleitete ihr Schaffen von Anfang an und wurde bald so etwas wie ihr Markenzeichen. Dass ihre gemeinhin vor allem als schön, barock, bisweilen auch als exzentrisch bezeichneten Entwürfe so sehr mit einem moralischen Unterbau verbunden sind, mag manch einen Zuhörer überrascht haben. Unter Ökodesign stellt man sich üblicherweise etwas Anderes vor.

Vivienne Westwood und die Kunst
In Ihren beiden Vorträgen ließ sich Frau Westwood über weit mehr Details aus, als man hier zusammenfassen kann. Erwähnenswert ist hier jedoch unbedingt ihre ausgesprochen skeptische Einstellung zur zeitgenössischen Kunst bzw. zur Kunst des 20. Jahrhunderts, die sie schlichtweg ablehnt. In ihrer sehr strikten Haltung argumentiert sie, dass sich früher einmal der Wert eines Kunstwerks dahingehend definiert wurde, in wieweit es in seiner Eigenständigkeit über die Jahrhunderte hinweg von Bestand war. Das echte Kunstwerk, so Vivienne Westwood, behält in seiner eigenen Kostbarkeit seinen Wert über die Zeit hinweg. Seit dem zwanzigsten Jahrhundert jedoch hänge der Wert eines Werks von der Person ab, die es betrachtet. Abstrakte Kunst lehnt die Modedesignerin zudem rundheraus ab. Die traditionelle chinesische Malerei dagegen sieht sie als eine Form der in ihren Augen echten Kunst an. Sie ist fasziniert davon, wie man dort einen Gegenstand erst einmal intensiv betrachtet, bevor man dessen Form in all ihrer Perfektion dann in einem Schwung, in einer Geste mit einigen wenigen Pinselstrichen erfasst.

Cool Planet
Am Abend ging Vivienne Westwood bei ihrem zweiten Vortrag in der Kaiser-Friedrich-Halle sogar noch einen Schritt weiter und begann sofort mit einem Exkurs über die Klimaerwärmung. Dabei sprach sie auch von ihrem Engagement für die von Matthew Owens gegründete Organisation „Cool Planet“, die den Erhalt des Regenwaldes zum Ziel hat. Zusammen nutzten Westwood und Owens schließlich die dem Vortrag angeschlossene Signierstunde, um über das gemeinsame Projekt aufzuklären, bei dem es tatsächlich gar nicht darum geht, Regenwaldflächen zu kaufen, sondern die dortige Bevölkerung durch Bildung und Gesundheit selbst in die Lage zu versetzen, ihr Land gegen die Abholzung zu verteidigen.

Und schließlich: Vivienne Westwood und die Mode
Am Ende des langen Tages, nachdem sie dem Publikum an verschiedenen Orten ihr gesamtes Weltbild geschildert hatte und dabei auf so viele verschiedene Details eingegangen war, kam die Designerin dann auch wieder auf die Mode zurück. Ausgangspunkt ihrer Modelle ist neben ihrer Beschäftigung mit der Kunst immer das Material. Sie beginnt mit der Auswahl der Stoffe und entwickelt daran dann das Thema der jeweiligen Kollektion. Mode soll ihrem Träger ein wildes, heldenhaftes und abenteuerliches Lebensgefühl vermitteln, ihn tapfer, kühn, dynamisch und sexy erscheinen lassen, ihn in den Mittelpunkt stellen und ihm helfen, der zu sein, der er ist.

Und schließlich, und damit beendete Vivienne Westwood ihren Vortrag in der Kaiser-Friedrich-Halle, sei Mode eine Möglichkeit, das eigene Leben erheblich zu verbessern und damit eben auch die gesamte Welt.

Einen passenderen Ort für Vivienne Westwoods Vortrag als die Kaiser-Friedrich Halle aus den Jahren 1901-03 mit ihren unglaublichen, der Textilkunst gewidmeten Jugendstilgemälden hätte man wirklich kaum finden können.

Dass Vivienne Westwoods Vortrag mit dem Geburtstag von meiner Freundin Ellen zusammenfiel, hat das gesamte Erlebnis noch weitaus intensiver gemacht.
Dem ganz der Kunst und der Mode gewidmeten Anlass entsprechend hatte ich natürlich etwas Selbstentworfenes an. Foto: Ellen Heyer