Das Ende der Moderne, herausgegeben von Dr. Karin Berkemann, mit einem Foto der Zeilgalerie von Dieter Leistner |
„Julia Zinnbauer beschreibt das Bauwerk in ihrem Beitrag so anziehend, dass man auch den Schmerz um den plötzlichen Verlust mit der Autorin unbedingt teilen kann.“
Katharina Cichosch, monopol Februar 2022
Auch wenn seit einigen Jahren das allgemeines Bewusstsein für die Architektur der Nachkriegszeit zunimmt, geraten sehr viel neuere Gebäude, wie z.B. das Stadthaus in Mannheim aus dem Jahr 1991, bereits jetzt schon in Gefahr, abgerissen zu werden.
Dank der Iniziative der Betreiber des Online-Magazins moderneREGIONAL konnte das Stadthaus vor kurzem gerade noch gerettet werden, die 1992 eröffnete Zeilgalerie in Frankfurt wurde 2016 jedoch bereits abgerissen.
Die von Prof. Rüdiger Kramm entworfene Einkaufgalerie, die in nicht weniger als einer spektakulären, begehbaren kinetischen Plastik aus Glas, Licht und Stahl bestand, hat mich von Anfang an fasziniert und meine Begisterung für moderne Architektur maßgeblich geprägt.
Aus diesem Grund war es mir wichtig, für die Online-Tagung des Magazins moderneREGIONAL mit dem Titel „Das Ende der Moderne?“, das einen umfassenden Überblick über die Architektur der 90er Jahre in Deutschland bot, einen Beitrag über die Zeilgalerie zu verfassen.
Das Symposium fand am 23. Juli 2021 statt, im November des Jahres kamm dann im Urbanophil Verlag eine opulente Tagungspublikation mit dem gleichen Titel heraus.
Ich freue mich sehr, das auf dem Titelblatt des Buches eine Fotografie von Dieter Leistner zu sehen ist, der Anfanfg der 90er Jahre den gesamten Bau und schließlich auch das fertige Gebäude der Zeilgalerie dokumentiert hat.
In meinem Text beschreibe ich das umfassende künstlerische Konzept hinter der Zeilgalerie, aber auch, wie ich im Jahr 2016 kurz vor dem Abriss noch einmal kurz in das Gebäude gelangt bin und ein letztes Foto von der mittlerweile stark veränderten Zeilgalerie gemacht habe.
Weitere Informationen gibt es in der Baunetzwoche #583 und die Deutsche Bauzeitung.
Zustand 2016 - Das Foto habe ich bei meinem letzten Besuch in der Zeilgalerie aufgenommen. |
Als die Zeilgalerie im September 1992 in Frankfurt eröffnet wurde, war die Idee dahinter so neu, dass es weder einen zutreffenden Ausdruck für diese Gebäudeform gab, noch ein direkter Vorgänger ausfindig gemacht werden konnte. Angelockt von der futuristischen Fassade mit ihren Facetten aus Glas und Kaskaden aus Stahlblech, geriet man beim Betreten der Zeilgalerie staunend in einen flirrenden Kosmos aus Licht und technischen, sich ständig verändernden Details. Das umfassende Gesamtkonzept des Architekten Rüdiger Kramm, das dem Gebäude zugrunde lag, konnte man gar nicht auf einmal erfassen und man gab sich überwältig dem spektakulären Raumerlebnis hin.
Meine Besuche der Zeilgalerie1 Anfang der 1990er Jahre erscheinen mir heute wie ein ferner Traum. Ich kann mich an eine filigrane Konstruktion aus Stahl, Glas und Licht erinnern, an rote Säulen und blaue Glasbausteine, an das Gefühl, dass nun endlich das Technikzeitalter begonnen hatte und eine schimmernde Zukunft vor uns allen lag. Von der Dachterrasse aus sah man über ganz Frankfurt und seine Wolkenkratzer hinweg. Der großformatige Bildband von Klaus-Dieter Weiß, der kurz nach der Eröffnung der Zeilgalerie erschien, wirkt in seiner gesamten Aufmachung und seiner Opulenz, als sei er selbst ein Teil des Gebäudes.2 Wie von der Zeilgalerie selbst, so wird man auch von den Fotografien von Dieter Leistner so sehr in ihren Bann gezogen, dass man für einen Moment vergisst, dass all das, was man dort sieht, gar nicht mehr existiert.
Die Idee
Die Zeilgalerie wurde zwischen 1990 und 1992 direkt an der Zeil, einer der umsatzstärksten und höchstfrequentierten Fußgängerzonen Deutschlands, gebaut. Das mit seinen 2.000 Quadratmetern vergleichsweise kleine Grundstück, auf dem sich zuvor ein Gebäude der Firma Peek und Cloppenburg befunden hatte, lag zwischen einem großen Kaufhof und einem alten Postamt. Um die Fläche ideal zu nutzen, ließ der Architekt Rüdiger Kramm das den gesamten Entwurf bestimmende Atrium diagonal über das Grundstück verlaufen. Und er fand eine geniale Möglichkeit, den Verkaufsraum elegant in die Höhe zu staffeln.
Die gesamte Gestaltung der Zeilgalerie, mit all ihren Elementen aus Glas und filigranem Stahl und ihrem spektakulären Lichtkonzept, war unfassbar futuristisch, das sah man auf den ersten Blick. Das wirklich Neue jedoch lag vor allem in der Idee, im Inneren des Gebäudes eine Laufebene von der Fußgängerzone aus über sieben Etagen hinweg bis zu einer Dachterrasse verlaufen zu lassen, ohne eine einzige Stufe. Auf diese Weise entstand eine Einkaufsstraße von 750 Metern, die sich serpentinenförmig um ein lichtdurchflutetes, beinahe 40 Meter hohes Atrium in Richtung Himmel wand, an 100 Schaufenstern vorbei.
Das Hauptthema des Entwurfs lag in der konstruktiven Wechselbeziehung zwischen der geneigten Laufebene und horizontalen terrassierten Gebäudeebenen. Tatsächlich konnte weltweit weder ein direkter Vorläufer noch ein Pendant dieser sanft ansteigenden „architektonischen Straße“3 innerhalb einer Einkaufsgalerie gefunden werden und es existiert nicht einmal ein treffender Begriff für diese Gebäudeform.
Rüdiger Kramm legte Wert darauf, dass es sich bei der Zeilgalerie weder um eine Einkaufspassage noch um ein Shoppingcenter handelte, auch wenn sich in dem Gebäude Elemente von Passagen, Kaufhäusern und Einkaufszentren verbinden. Die Passage, die es seit dem 18. Jahrhundert gibt, und ihre etwas aufwändigere Nachfolgerin, die Galerie, stellen überdachte, von Geschäften gesäumte Abkürzungen zwischen zwei Straßen her. Der Weg hindurch führt üblicherweise in die Parallelstraße, nicht aber, wie im Fall der Zeilgalerie, aufs Dach. Das Atrium der Zeilgalerie lässt sich mit seinem gewölbten Glasdach leicht mit den Lichthöfen der großen Kaufhäuser des 19. Jahrhunderts in Verbindung bringen. Im Gegensatz zur Zeilgalerie befinden sich in Warenhäusern jedoch keine selbstständigen Geschäfte.
Insgesamt sah Rüdiger Kramm die Zeilgalerie eher als eine in die Vertikale gestaffelte Markthalle mit klarer konstruktiver Unterscheidung zwischen Straße und Laden, Handel und Stadt, eben als eine wirkliche Fortsetzung des Stadtraums im Inneren des Gebäudes. Mit der Verschmelzung von Architektur, Handel, Kunst und Kultur war die Zeilgalerie der Gegenentwurf zur Banalität der Innenstadt und setzte sich deutlich von allen anderen Gebäuden der Zeil ab, auch, indem sie die Volumina der Nachbarhäuser nicht aufnahm. Kramm sagt heute, dass er die Idee des ‚Basars‘ verfolgt hat, der mit einem kleinteiligen individuellen Ladenangebot auf die Region eingeht. Durch die Raumspirale war die gesamte Architektur auf das Flanieren und Kaufen als Raumerlebnis angelegt, wie in einer lebendigen urbanen Geschäftsstraße.
Das Raumkontinuum
Bereits im Jahr 1925 hatte der österreichisch-amerikanische Architekt Friedrich Kiesler ein Kaufhaus in Spiralform entworfen, das wie ein Schraubengewinde angelegt war. Auf diese Weise sollte so etwas wie ein einziges, von unten nach oben durchgehendes Hauptgeschoss entstehen. Allerdings wären in Kieslers Entwurf auch die Verkaufsflächen geneigt gewesen, was zu Schwierigkeiten mit dem Mobiliar geführt hätte. Zudem heißt es, dass der Innenraum aufgrund des fehlenden Lichthofs und der Beleuchtung ausschließlich über die gläserne Fassade einfach zu dunkel gewesen wäre. Mit seinen zu groß angelegten Dimensionen wurde Kieslers Einkaufshochhaus nie gebaut. Später nahm Frank Lloyd Wright die Idee der Spiralform in seinem Guggenheim Museum in New York auf, das 1959 eröffnet wurde.
All diese utopischen Ideen trafen schließlich in der Zeilgalerie auf die Erfahrung aus 200 Jahren Passagen- und Kaufhausarchitektur und verbanden sich mit dem Plan, die Straße durch das Haus hindurch bis zur Dachterrasse zu führen. Um dieses Bild der Kontinuität des Straßenraums zu erschaffen, war es notwendig, dass die Besucher:innen auf dem Weg nach oben keine einzige Stufe erklimmen musste. Rüdiger Kramms Synthese von Straße und Haus funktionierte. Angelockt von der futuristisch leuchtenden Fassade geriet man mit dem Betreten der Zeilgalerie sofort in ihren Bann und bemerkt die sanfte Steigung des Laufwegs von sechs Prozent zunächst einmal nicht. Fasziniert flanierte man über die zahllosen blauen, in die Laufebene eingelassen Glasbausteinen, die Serpentine hinauf bis zum Dach.
Allerdings verlief die stufenlose Laufebene nicht einfach an herkömmlichen Geschossen entlang. In den Läden, die mit ihren nahtlos ineinander übergehenden Schaufenstern an die Rampe anschlossen, befand sich alle sechs Meter ein Absatz, sodass die einzelnen Geschossebenen terrassenartig gestaffelt waren. Deutliche Geschossgrenzen gab es nur in den unteren Stockwerken. Das so entstandene Raumkontinuum wurde durch eine gleichmäßige Lichtstimmung noch verstärkt, sowie durch die 8.000 blauen unterleuchteten Glasbausteine. Das Licht spielte in der gesamten Zeilgalerie eine große Rolle, in Form von kinetischen Lichtplastiken und z. B. auch durch die Heliostaten, die das Sonnenlicht vom Dach aus ins Atrium spiegelten.
Die Kunst
Genauso prägend wie das Licht war auch das Farbkonzept, das auf Blau und Rot basierte und auf der Farbe des Edelstahls. Die Entsprechung zum Glasdach und dem Himmel darüber war im Untergeschoss eine Wasserfläche mit verschiedenen schillernden kinetischen Lichtplastiken darin. Zwischen dem Untergeschoss und dem Himmel schuf eine lange Rolltreppe eine räumliche und farbliche Beziehung. Jedes Segment der Rolltreppe hatte einen anderen Ton, von Rot im Untergeschoss über Lila bis hin zu blau ganz oben unter dem Glasdach. Hinzu kam das Rot der Säulen und das leuchtende Blau der Glasbausteine. Für die Hostessen der Zeilgalerie wurde sogar eine Uniform entworfen, die in ihrem Schnitt und ihren Farben der Architektur entsprach.
Durch das gesamte Atrium hindurch zog sich die sogenannte Polychrome Wolke, eine Rauminstallation des italienischen Künstlers und Architekten Leonardo Mosso (1926–2020). Auf der Basis von Quadraten hatte Mosso ein System entwickelt, um mit Hilfe von Stäben und Gummibändern filigrane, flexible und unendlich fortsetzbare Objekte zu bauen. Dieses modulare System hatte er bereits 1970 zum Patent angemeldet.
Für die Zeilgalerie schuf er eine 500 Quadratmeter große Rauminstallation, die mit ihren Edelstahlstäben in Rot, Blau, Schwarz und Silber ganz dem Farbkonzept des Hauses entsprach. Die Polychrome Wolke bestand aus vier Elementen, die einander durchdrangen und eine organische Einheit bildeten. Die Wolke war so im Atrium aufgehängt, dass die Besucher:innen mit der Rolltreppe durch sie hindurch fuhren und die luftig-technische Konstruktion aus ganz unterschiedlichen Perspektiven betrachten konnten.
Die Bedeutung, die der Kunst im Innenraum der Zeilgalerie beigemessen wurde, kündigte sich bereits an der Fassade an. Die von Rüdiger Kramm konzipierte, mehrschichtige Fassadenplastik bestand aus 99 unterschiedlich geneigten Lochblechelementen, die an ein Gerüst montiert waren, dahinter befand sich eine Pixelwand.
Mit der Abenddämmerung wurde die Fassade zunehmend transparent, denn hinter den Lochblechen wurde auf der Pixelwand ein Licht- und Farbschauspiel aus Computergrafiken sichtbar, das sich ständig änderte. Für die kinetische Plastik war eigens ein Computerprogramm geschrieben worden, das auf der Basis von aus der direkten Umgebung der Zeilgalerie abgeleiteten Daten Grafiken erstellte. So wurden beispielsweise mit einem Richtmikrofon die Geräusche der Großstadt aufgenommen und zusammen mit Wetterdaten, Tages- und Jahreszeiten mit Hilfe eines Algorithmus in Lichtsequenzen umgewandelt. Die Lufttemperatur regelte beispielsweise den Gelbanteil des Lichts auf dem blauen Untergrund. Rüdiger Kramm beschrieb seine Lichtplastik als atmende Membran, die sich abschirmt und wieder öffnet und die architektonische Wand dadurch immateriell werden ließ.
Wie die kinetische Fassadenplastik, so war auch der sogenannte i-Punkt direkt neben dem Eingang der Zeilgalerie eine künstlerische Arbeit von Rüdiger Kramm. Es handelte sich dabei um eine 30 Meter hohe, teilweise transparente, im Windkanal getestete Edelstahlskulptur, eine Art Gravitationsnadel, die beinahe das Vordach berührte, aber eben gerade kein tragendes Element war.
Die Ereignisebene
Nach deutschem Baurecht dürfen oberhalb von 22 Metern keine Läden mehr eingerichtet werden. So schuf man aus praktischen und ideellen Gründen auf der Siebten Etage der Zeilgalerie einen supermodernen Veranstaltungskomplex, ein gläsernes Studio des Radiosenders RPR, einen Cyber Space und ein 3D-Kino. Von der spektakulären Dachterrasse aus sah man über ganz Frankfurt hinweg – und es gab ein chinesisches Restaurant, dessen beide Ebenen durch eine Wendeltreppe miteinander verbunden waren, die über den Abgrund des Atriums ragte.
Die multimediale Technik des beinahe 1000 Quadratmeter großen Veranstaltungsbereichs konnte ganz einfach an einen Ü-Wagen in der Fußgängerzone angekoppelt werden, sodass man von der Ebene Sieben der Zeilgalerie aus in Studioqualität senden konnte. Und das war auch notwendig, denn liest man den Veranstaltungsplan für das Jahr 1993, dann hat man das Gefühl, dass die 90er Jahre selbst in der Zeilgalerie auskristallisiert sind.
Der Niedergang
Was das Raum- und Bewegungskonzept aber schließlich scheitern ließ, so Rüdiger Kramm heute, das lag vor allem in der Tatsache, dass es von Anfang an nicht von dem Betreiber verstanden wurde. Anstatt kleine, individuelle, regionale Geschäfte zu unterstützen, so wie es Rüdiger Kramm geplant hatte, ließ man sich auf große Anbieter wie Douglas und H & M ein, wie sie in jeder Stadt zu finden und damit auch beliebig austauschbar sind. Das Flanieren und Kaufen als Raumerlebnis durch die Raumspirale mit kleinen Einheiten wurde nicht weiterfolgt bzw. sogar konterkariert, indem man den großen Ladeneinheiten im Erdgeschoss interne Rolltreppen in die erste Etage zustand, so der Architekt.
Das
gläserne RPR Studio existierte noch bis 1995. Im Jahr 1997 wurde in
das Atrium eine zusätzliche Rolltreppe eingebaut. In den folgenden
Jahren verkaufte man die Zeilgalerie immer wieder weiter, um Rendite
zu erzielen. 2011 wurde der Innenraum weiß gestrichen und das
feingliedrige transparente Gebäude erhielt eine massiv wirkende,
sogenannte Medienfassade. In Schwarz.
Der Abriss
Die Zeilgalerie, hat in meiner Familie von Anfang an, seit ihrer Eröffnung 1992, eine große Rolle gespielt. Für meinen Bruder und mich war die Zeilgalerie immer das Futuristischste und Aufregendste schlechthin und diese Begeisterung hat unsere Sicht auf die Architektur und Kunst bis heute geprägt. Meine Eltern haben sich damals sogar den Bildband gekauft, der zur Eröffnung der Zeilgalerie erschienen ist.
Da hörte ich auf einmal einen Sicherheitsmann rufen, ich dürfe auf gar keinen Fall Fotos machen und dass ich das Gebäude sofort verlassen soll. Wie eine Wahnsinnige rannte ich die Rolltreppe hoch, bis ganz nach oben, und machte dabei drei oder vier Fotos. Dann ließ ich mich von dem schwer atmenden Sicherheitsmann, der mir schreiend hinterhergerannt war, zur Tür bringen. Und das war es dann.
Wenigstens konnte ich auf diese Weise Abschied nehmen von dem coolsten und modernsten Gebäude, das jemals gebaut worden ist.
1 Die Zeilgalerie wurde von 1990 und 1992 errichtet nach Entwürfen von Kramm & Strigl Architekten, Darmstadt,.
2 Vgl. Weiß, Klaus-Dieter, Urbane Handelswelten – Zeilgalerie „les facettes“. Eine Raumerfindung von Rüdiger Kramm vor dem Hintergrund von zweihundert Jahren Urbanität, Berlin 1994.