Das sind die Dachterrassen, für die ich meine Kleider entwerfe. |
Das Staatstheater Darmstadt wurde bereits vor dreihundert Jahren gegründet, im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude zerstört, man behalf sich einige Jahre lang mit einer Orangerie als Aufführungsort und beauftragte 1963 schließlich den Architekten Rolf Prange mit einem Neubau. 1972 wurde das neue Haus dann am Büchnerplatz eröffnet, ein solider, für diese Zeit ganz typischer Bau mit klaren Formen und einer eleganten breiten Treppe, die vom Foyer aus in den oberen Bereich führt. Um die Jahrtausendwende sollte das Haus dann saniert werden. Wenn es um die Sanierung von Betongebäuden aus dieser Zeit geht, zuckt man unwillkürlich zusammen und denkt an zugespachtelte Fugen, dicke Farbschichten und aufgeklebte Styroporplatten. In Darmstadt ging man anders vor.
Das,
was das Team Lederer+Ragnarsdóttir+Oei dort zwischen 2002 und 2006 umgesetzt
hat, ist einfach nur erstaunlich. Zwar wurden die technischen Anlagen des
Theaters umfassend erneuert und einiges saniert, zusätzlich entstand aber auch
ein dem Foyer vorgelagertes Eingangsgebäude, das mit einem Schlag unendlich
viele Verbindungen herstellt. Von der Tiefgarage aus gelangt man über eine
Betontreppe, die unweigerlich an Frank Lloyd Wrights Marin County Civic Center erinnert, ins Foyer, sie führt aber auch noch eine Etage höher auf die Dachterrasse
und damit zu einem Ausblick auf wirklich das gesamte Arrangement und die Stadt
hinweg.
Zunächst
einmal aber reist der moderne Opernbesucher der frühen Siebzigerjahre natürlich
mit dem Auto an und fährt direkt in die Tiefgarage. Dort ist es taghell und
luftig, weil Lederer und Co. durch zahllose Treppenaufgänge, die zum Vorplatz hinauf
führen und aus Glasbausteinen bestehen, für Licht sorgen. Steigt man aus dem Auto, betritt man einen
roten Teppich, der bis zu der besagten neuen Betontreppe führt. Mit einem
einfachen, auf den Boden gemalten roten Streifen, der aber so viel Phantasie
transportiert, wird der Besucher direkt auf das Opernerlebnis eingestimmt.
Begeistert und aufgewühlt stürzt man in der Pause schließlich auf die von der Sonne aufgeheizte, riesige Dachterrasse und versteht plötzlich alle Zusammenhänge. Die Terrasse führt zu einem Balkon, der den Blick auf den mit Betonpilzen besiedelten Theatervorplatz lenkt, die die zahllosen Treppenaufgänge aus der Tiefgarage überdachen. Man schaut über die Stadt, sieht unzählige Leute auf dem Platz in der Sonne sitzen, wendet sich um und sieht die Opernbesucher auf der Dachterrasse flanieren. Die beiden Gruppen fließen ineinander und die Stadt veschmilzt mit dem Platz, dem Balkon, der Terrasse, dem Gebäude, dem Innen und dem Außen und die Grenzen scheinen aufgelöst. Die Bühne wiederum wird ins Freie erweitert, bis in die Stadt hinein. Und all das bewirkt der neue Treppenaufgang und die neue Gestaltung des Vorplatzes. Nur nachts werden zwei Tore geschlossen, eine riesige rote Stahltür, die den gesamten Balkon nach außen abdeckt, und ihr schwarzes Pendant nach innen.
Lederer
und seinem Team ist gelungen, wovon viele Architekten träumen. Er hat einen
Kulturbau geschaffen, der sich in die Stadt eingliedert, von der Bevölkerung
angenommen wird und nicht aufgepfropft wirkt. Eine Hemmschwelle zum Theater und
zur Oper kommt so gar nicht erst auf.
Zu sagen, dass die besonders
schöne und wirklich strenge Tristan-Inszenierung John Dews in diesem baulichen Ensemble
ein spektakuläres Erlebnis war, wäre eine Möglichkeit. In Wirklichkeit war es
aber so, dass der Zusammenklang aus diesem unglaublich strahlenden Junitag mit
seiner Hitze und seinem grellblauen Himmel, dem exzessiven Wagner-Erlebnis, dem
Gefühl, sich absolut inmitten der Musik zu befinden und zu spüren, wie Herz und
Lunge vibrieren, dem absolut überraschenden Arrangement aus alten und neuen
Elementen des Theatergebäudes, bis hin zur Fahrt mit offenem Dach über die
nächtliche Autobahn ein absolut surreal perfektes Gesamterlebnis war. Genau so
sollte es sein, das Leben. Und dass der Hausmeister noch einmal eigens die Tür
öffnen musste, um mich aus dem Theater zu lassen, muss wohl nicht erwähnt
werden.