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Montag, 19. Juni 2017

Im Rausch der EuroShop: Eine mehrtägige Wanderung über die weltgrößte Messe für Visual Merchandising und Retail Design


Meine aktuelle Kolumne für das Magazin STYLEGUIDE





























Im März des Jahres fand mit der EuroShop in Düsseldorf die weltweit größte Messe für Ladenbau, Retail Design und Visual Merchandising statt. Für die Mai-Ausgabe des Magazins STYLEGUIDE habe ich mich auf eine mehrtägige Expedition in das auf dem Messegelände im düsseldorfer Norden errichtete Paralleluniversum begeben und meine Erlebnisse in einer Kolumne und dieversen Fotos festgehalten:

Ein Besuch der EuroShop Messe Düsseldorf gleicht einem Ausflug in ein ideales Einkaufsparadies, in dem allerdings nicht das verkauft wird, was in den Läden präsentiert wird, sondern die Läden selbst, genauer gesagt: ihre Ausstattung. Die weltweit größte Messe für Ladenbau, Retail Design und Visual Merchandising bietet vom Drahtkleiderbügel über den Einkaufswagen bis hin zum hyperrealistischen Luxus-Mannequin alles, was man benötigt, um den Kunden in Kauflaune zu versetzen. In diesem Jahr fand die EuroShop bereits zum fünzigsten Mal statt, und das in bisher ungekannten Dimensionenen.















 
Überwältigt von einer nicht enden wollenden Aneinderreihung von Prototypen, Dekorationen und Illusionen, läuft man als Besucher tagelang in den Messehallen umher, in denen wie in einer Stadt in der Stadt ganze Supermärkte, Modebuotiquen, Laufstege und Pavillons aufgebaut wurden. Durch die Vermischung von Abstraktion und Hyperrealismus wird die gesamte Wahrnehmung durcheinander gebracht, man verirrt sich, gerät in einem angenehmen Sinnesrausch und ist schließlich froh, den Ausgang nicht mehr zu finden. Man will nicht mehr zurück in die weit weniger perfekte, blassere Außenwelt. Verstärkt wird der Eindruck des Surrealen zusätzlich durch die spektakuläre Messearchitektur von Heinz Wilke, der den Hallen in den Siebzigerjahren durch begehbare Verbindungsröhren aus Plexi- und Fiberglas etwas unglaublich Futuristisches verliehen hat.

Julia Zinnbauer
Der Hauptmotor, der der großen Inszenierung der Euroshop zugrundeliegt, besteht neben dem Wettbewerb der verschiedenen Anbieter untereinander vor allem in deren Bedrohung durch den Online-Handel. Um den Kunden fest an den so genannten Point of Sale zu binden, muss in den Läden heute alles noch griffiger, noch schöner, noch „echter“ präsentiert werden, kurz: es müssen noch aufwendigere Legenden um das jeweilige Produkt gebildet werden. Oder der Einkauf wird einfach noch komfortabler gemacht, wie im Fall der Hundeboxen, in die Supermarktbesucher ihre Haustiere einschließen können, um sorglos und entspannt einzukaufen. In der so gewonnenen Zeit geben sie folglich mehr Geld aus. Am Wochenende kommt dann der Trolley-Wash-Lastwagen vorbei und in kürzester Zeit werden die Einkaufswagen in der mobilen Waschanlage wieder auf Hochglanz gebracht.


Architektur als Trägerin von Ideen
Auf der EuroShop wird nicht nur das Werbematerial beworben, mit verschiedenen Agenturen, die sich auf eine Verbindung von Raumkonzeptionen und Kommunikationsdesign spezialisiert haben, präsentieren sich auch die Macher hinter den Entwürfen selbst. Große Ideen lassen sich immer durch Architektur transportieren, und so beeindruckt die Agentur Designplus unter dem Motto „Join the Ride“ mit einem runden, sehr massiv wirkenden Pavillon, bei dem ein äußerer Ring von Räumen um einen inneren rotiert. So ergeben sich immer wieder ganz unterschiedliche Möglichkeiten und Konstellationen, ganz im Sinne der vielfältigen Aufgabenbereiche, durch die sich die Agentur auszeichnet. Den Messeauftritt von D’art Design zu fotografieren, erweist sich dagegen als gar nicht so einfach. In den riesigen spiegelnden Wänden sieht man vor allem sich selbst und die umliegenden Stände. Man wird selbst Teil der Inszenierung und weil man unbedingt die Idee hinter dem schwer fassbaren, beinahe körperlosen Messestand begreifen will, muss man ihn immer wieder fasziniert durchqueren.

Mannequins der Firma Genesis betrachten den rotierenden Stand von Designplus



























Totale Geheimhaltung
In Zeiten, mit denen jeder potentielle Produktpirat hunderte von Fotos mit seinem Smartphone machen kann, verwundert angesichts der betonten Sichbarkeit der ausgestellten Ideen und Produkte die hohe Geheimhaltungsstufe, die bei vielen Ausstellern herrscht. Am Stand des spanischen Einkaufswagen-Anbieters Marsanz schiebt ein Mitarbeiter energisch seine Körpermitte vor meine Linse, als ich einen typischen Baumarktwagen fotografieren will. Kurz darauf erklärt er mir lachend, dass er wirklich auf der Hut vor der Konkrrenz sein muss. Er schenkt mir einen Stift, damit ich beim Schreiben meiner Kolumne an sein „equipamiento comercial“ denke. Das elegante Edelstahl-Supermarkt-Modulsystem der Firma Fortezza hinIgegen lockt an und verbirgt sich durch einen grau-transparenten Streifenvorhng, der den gesamten Stand umgibt. Dem Firmennamen entsprechend traut man sich zunächst nicht, hinter den Vorhang zu treten. Auf meine Bitte hin erteilt man mir die Erlaubnis zu fotografieren, fragt nach dem fünften Bild aber trotzdem sicherheitshalber noch einmal nach, ob ich nicht doch ein Konkurrenzanbieter bin. Das könnte natürlich sein, aber vielleicht gefällt mir ja einfach nur der viele Edelstahl.




























Window France Mannequins: Die DNA Factory in der Secret Box
Das Geheimnis als Inszenierung der Firmenlegende nutzt man ganz gezielt bei der Firma Window France, die ihren Messestandt um die so genannte Secret Box herum gestaltet hat. Jedes Detail des gesamten Auftritts verweist auf den futuristischen Geist, in dem Jean Marc Mesguich im Jahr 1982 mit einem transparenten, von innen beleuchteten Mannequin den Grundstein für seine Firma gelegt hat. Im Messestand des Figurenherstellers herrscht vollends elegantes Schwarz vor, sodass die ganz unterschiedlichen Mannequins luxuriös aus dem Dunkel herausstrahlen. Einzig der kameleonfarben-geschuppte Window-Katalog glitzert grün auf den schwarzen Tischen.


Scissorella


Man ist überrascht über die riesige Bandbreite an Materialien, Oberflächen und Haltungen der gezeigten Figuren, vor allem aber auch über ihre ganz unterschiedlichen Gesichter. Da posieren futuristisch-minimalistische Mannequins genauso wie solche, die an die historischen Vorgänger der Schaufensterpuppe erinnern, also an Schneiderpuppen und an die Gliederpuppen von Malern vergangener Zeiten. Das Phänomen der vielfältigen Gesichter, die von ganz abstrakt bis ganz realistisch variieren, erklärt sich durch das Cameleon Konzept, einem System von auswechselbaren, magnetischen Augen und Lippen bzw. von ganzen Gesichtern.

Für Interessenten, denen all das noch nicht individuell genug ist, wurde die DNA Factory erfunden, deren Geheimnis im Inneren der Secret Box erzählt wird. Dorthin gelangt man nur, wenn man eine Einladung hat und auch dann darf man nicht fotografieren. Das fällt angesichts der kernig-technisch aussehenden Figurenprototypen, die an Drahtseilen in Stahlgestängen hängen, unglaublich schwer. Mit dem Betreten der Secret Box ist man plötzlich weit weg vom Troubel des Messegeländes und lauscht gespannt, wie Art Director Ralph Hutchings die sieben Schritte zum perfekten, absolut individualisierten Mannequin erklärt. 


Art Director Ralph Hutchings




























Analog zu der quadratischen Grundfläche der Secret Box hat sich Window France in den letzten Monaten in der Nähe ihres südfranzösischen Hauptquartiers sieben quadratische Boxen bauen lassen, in denen sich sieben verschiedene Werkstätten befinden. Dort entsteht mithilfe von Designern, Fotografen, Bildhauern und Kunststoffexperten in nur drei Tagen der Prototyp eines Mannequins, in dessen Mimik und Pose sowie in all seinen Details die DNA des jeweiligen Auftraggebers zum Ausdruck kommt. Art Director Hutchings schildert den gesamten Entwurfsprozess so weltmännisch und ohne dabei eine Miene zu verziehen, dass man sofort die wildesten Bilder vor seinem geistigen Auge hat, von geheimen Laboratorien, in denen an perfekten menschlichen Figuren experimentiert wird, abgeschieden von der Hitze und dem Licht Südfrankreichs und unterstützt von gelenkigen Robotern und einem riesigen, blitzschnell auslösenden 3D Scanner.




























Einhundertzehn Jahre Eleganz: Moch Figuren aus Köln
Bei der Firma Moch Figuren aus Köln muss man keine Legende erschaffen, die Firma Moch IST eine Legende. Ohne zu übertreiben kann man sagen, dass die Auseinandersetzung der Familie Moch mit der menschlichen Physiognomie bis zum Neandertaler zurückreicht. Tatsächlich stammt die Skulptur des Neandertalers, die sich auch heute noch in der Nähe des Fundortes unseres fossilen Verwandten bei Mettmann befindet, von Franz Moch, gestaltet im Jahr 1928. Bereits 1907 hatte sich der Modellbauer und Perückenmacher mit seiner ersten Werkstatt in Düsseldorf selbstständig gemacht, spezialisierte sich bald auf den Figurenbau und erhielt 1910 einen ersten Großauftrag durch das Warenhaus Tiez. Moch expandierte, zog nach Köln und wurde spätestens in den Fünfzigerjahren durch seine Teilnahme an den gerade erst in Düsseldorf gegründeten Messen EuroShop und Igedo weltbekannt. Dr. Josef Moch, der Enkel des Unternehmensgründers, betreibt somit heute die älteste Firma zur Herstellung von Schaufensterfiguren in ganz Europa.


Mannequins, Retaildesign, Messe Düsseldorf, Scissorella
























 
Natürlich geht es auch bei Moch Figuren um zeitgenössische Trends und um das Erforschen neuer Technologien. Das Besondere an den Moch-Mannequins ist allerdings auch die tiefe Verwurzelung der Firma im Kunstgeschehen der Städte Düsseldorf und Köln. Das betrifft sowohl die Gestaltung der Figuren selbst, an der beispielsweise Schüler des Bildhauers Ewald Mataré beteiligt waren, als auch das Engagement, mit dem Dr. Josef Moch seine Figuren bis heute immer wieder in den Kontext der Hochkultur bringt. Moch Figuren sind Teil von Wagner-Inszenierungen wie „Tristan und Isolde“ und „Die Walküre“ in der Oper Köln und gehören zu den ständigen Sammlungen zahlreicher Museen. Die Begeisterung für die Kölner Oper hat bei Mochs Tradition: bereits in den Fünfzigerjahren kleideten sie ihre eleganten Puppendamen in große Abendroben und ließen sie in der modernen Architektur des Kölner Opernhauses fotografieren, das kurz zuvor nach den Entwürfen von Wilhelm Riphahn gebaut worden war. So war es für den Idealisten Dr. Joseph Moch in den letzten Jahren auch Ehrensache, sich intensiv für den Erhalt des Hauses einzusetzten, mit großem Erfolg, wie man glücklicherweise hinzufügen darf.

Dr. Josef Moch


Wie die riesig vergrößerte, farbenfrohe Zeichnung von Dr. Josef Mochs Tochter Elisabeth zeigt, die die Rückwand des aktuellen Messestandes schmückt, jubelt die gesamte Modewelt den legendären Moch Figuren zu, von Donatella Versace über Karl Lagerfeld bis hin zu Suzy Menkes. Und so soll es in den nächsten Jahrhunderten auch bleiben.


Meine Fotos von MVM und Moch figuren für die Mai-Ausgabe des Magazins STYLEGUIDE



























Genesis Mannequins
Die Ausstellungsfläche der Firma Genesis Mannequins setzt sich sogar über die Grenzen des Messegeländes hinaus fort. Die filigranen Blätterarrangements, die in der Mitte des ganz in weiß gehaltenen Mesestandes aus einem Baum herauswachsen, schmücken auch die Schaufenster der Boutique JADES im zentral gelegenen Wilhelm Marx Haus. Beide Bereiche wurden konzipiert von Domagoj Mršić, der traditionell für die glamourösen Fenster des JADES verantwortlich ist. Mit dem Wilhelm Marx Haus entstand im Jahr 1922 nach Plänen des düsseldorfer Architekten Wilhelm Kreis das erste Hochhaus ganz Deutschlands. Man kann es als einen sehr eleganten Schachzug betrachten, dass die Firma Genesis ihre Messeparty in einem ehemaligen Kino des gleichen Architekten stattfinden ließ, in der heutigen Nachtresidenz nahe der Königsallee. Und so verlässt der von der EuroShop völlig faszinierte Besucher irgendwann doch das Messegelände, um die Genesis-Party zu besuchen. Das ist ein schöner Grund und erleichtert die Rückkehr in die Außenwelt sehr.


Die Genesis-Party in einem ehemaligen Kino des Architekten Wilhelm Kreis


Die Kolumnistin bei der Genesis-Party