Mit einem Gastbeitrag von Julia Zinnbauer:
Life imitates art - Wie Dorian Gray mit Lust sein Bildnis zerstört
Bei Zinnbauers wird seit jeher am Karfreitag Richard Wagners „Parsifal“ gehört. Der Karfreitag ist für mich also immer schon mit einer weihevollen Stimmung und einer gewissen Dramatik verbunden. Dies im Hinterkopf sagte ich natürlich zu, als mich Bazon Brock im Frühling des Jahres nach einem Beitrag zu seinem Karfreitags-Vortrag in der Galerie GRÖLLE pass:projects fragte. „Karfreitag – Festtag der Philosophen. Über Göttermord und Bildzerstörung“ lautete der Titel seines geplanten Vortrags und ich sollte über das Motiv der Bilderzerstörung in Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“ referieren. Das erfuhr ich bei einem ausfühlichen Telefonat, das selbst schon Happeningcharakter hatte und bei dem der Meister des Sprechens auf mehrern Leitungen parallel zu hören war.
Im Nachhinein muss ich sagen, intensiver und weihevoller hätten auch Richard Wagner und Ludwig II. den Karfreitag nicht feiern können und bereits die Vorbereitungen zu dem gesamten Auftritt hatten etwas von einem symbolistischen Märchen.
Mein tagelanges Dorian-Gray-Lesen versetzte mich in eine ausgesprochen ästhetizistische Stimmung und ich wollte meinen Vortrag, ganz im Sinne meines Themas, möglichst perfekt inszenieren. Oscar Wildes Roman handelt schließlich davon, das Leben als Kunstwerk zu gestalten. „Das Bildnis des Dorian Gray“ hatte ich über die Jahre hinweg immer wieder gelesen und zu Rate gezogen, dann verschwand es ein wenig aus Blickfeld, vermutlich weil ich einen Stapel Architekturbildbände daraufgelegt habe. Die Sprache aber, die trägt man immer mit sich, die Worte, die Rhythmen, den Schwung, die opulenten, farbintensiven Bilder, die Oscar Wilde erschafft, die Bonmots und Gedichtzeilen, die einem immer wieder wie aus dem Nichts einfallen und einem Genuss bereiten, indem man alleine nur an sie denkt. Ich schrieb und schrieb und las und las und war durchdrungen von Oscar Wildes Worten und von seinem unbedingten Willen, etwas Schönes zu erschaffen.
„Leidenschaft, Extase, Enthusiasmus, Geschwindigkeit – das sind die Schlüsselworte Walter Paters – die Frucht am Gaumen zerplatzen lassen, ein beschleunigtes, vervielfachtes Bewusstsein, the quickend sense of life, getting as many pulsations as possible in the given span of time“, oder, wie Pater es an einer Stelle der „Renaissance“ zusammenfasst: „(…) to burn always with this hard, gem-like flame, to maintain this extasy, is success in life“, also immer mit der harten edelsteinartigen Flamme zu brennen.“ (J.Z.)
Am späten Nachmittag des Gründonnerstags fehlten allerdings noch die Lilien. Im fahler werdenden Licht fuhr ich zum Carlsplatz. Während ich mich dort auf dem Markt noch umschaute, entdeckte ich einen großen Eimer voller weißer Lilien, die alle schon recht mitgenommen aussahen. Während ich mich noch nach den Lilien erkundigte, zog ein Marktmitarbeiter den Eimer in den hinteren Bereich des Standes und begann vor meinen Augen damit, die Lilien mit einer Heckenschere zu zerkleinern. Die Verkäuferin verstand überhaupt keinen Spass, als ich fragte, ob ich die Lilien nicht einfach haben könnte. Für so etwas haben wir hier wirklich keine Zeit, wir müssen schließlich arbeiten, meinte sie. Auch als ich die Lilien bezahlen wollte, blieb sie unverändert unfreundlich und barsch. An einem Marktstand Blumen zu kaufen ist ja nun auch ein etwas ungewöhnliches Anliegen, das gebe ich zu. Der Mitarbeiter schnitt und schnitt ungerührt weiter das kostbare weiße Gut in eine Biomülltonne, während die Verkäuferin vor sich hinschimpfte. „Life imitates art“, dachte ich, „Die Nachtigall und die Rose“. Mit einem Arm voll großer weißer Lilien in einem etwas fortgeschrittenen Stadium und einer großen Duftwolke um mich herum, die an neapolitanische Marmoraltäre denken ließ, ging ich zum nächsten Elektronikfachmarkt und kaufte Batterien für das Tonaufnahmegerät. Dort, zwischen all den Plastik-CD-Hüllen und Handyhalterungen, sagte die Kassierein: „SIE haben haber schöne Blumen!“.
Mit meiner präraffaelitischen, selbstgenähten Bluse, den Lilien, die immer müder mit ihren Köpfen nickten und der kompletten Technik-Ausrüstung, bestehend aus zwei Fotoapparaten, einem ZOOM H6, mehreren Speicherkarten etc., fuhr ich, mit der Welt versöhnt, am nächsten Vormittag nach Wuppertal. Die gesamte Karfreitagsfeier gestaltete sich am Ende doch ganz anders als geplant und aus der Andacht wurde so etwas wie ein 24-Stunden-Happening. Nachdem Bazon Brock etwa zwei Stunden geredet hatte, hielt ich meinen Vortrag (ca. ab 01:50:00). Zu diesem Zeitpunkt atmete das Publikum bereits ein wenig schwerer, die technischen Geräte liefen heiß und fielen nach und nach aus, das Tonaufnahmegerät begann deutlich zu leiern. Die Lilien aber hatten ihren ganz eigenen Auftritt, als Bazon Brock, während ich sprach, einen Sockel heranzog und sie neben mich stellte.